Rom sehen und nicht sterben

Irritierend eigenständig

Der neue Roman von Peter Wawerzinek mit dem originellen Titel «Rom sehen und nicht sterben» reiht sich ein in die nicht abreißende Welle von auto-biografischen Romanen, mit denen derzeit im Bereich der Belletristik der Buchmarkt geradezu überschwemmt wird. Es entsteht der Eindruck, den schreibenden Damen und  Herren fällt nichts mehr ein, deshalb müssen alle sie über ihr eigenes, mehr oder weniger interessantes Leben schreiben. Statt das dann auch «Autobiografie» zu nennen, werden kurzerhand einige fiktionale Elemente eingefügt, und schon gibt es einen neuen Roman. Und «Roman» auf dem Buchtitel, sei hinzugefügt, das verkauft sich halt einfach besser! Immerhin hat es ja das neue Buch des Autors auf die Longlist für den Deutschen Buchpreis dieses Jahres geschafft, trotz der auto-biografischen Schwemme, das zeugt ja immerhin von einer gewissen literarischen Qualität.

Und in der Tat erweist sich dieser Roman, der als Brief eines Schriftstellers (sic) an einen nicht identifizierbaren Empfänger verfasst ist, gleich zu Beginn als stilistisch grandios, wenn der Autor auf der Tiberbrücke Ponte Sisto stehend den abendlichen Einzug der Stare von den kalten Olivenhainen ins sonnenwarme Rom beschreibt. Am Anfang sei nur diese Schwärze über dem Horizont als «Flatterband» zu sehen. «Das sich im Anflug aufbläht, an Volumen gewinnt und zerreißt, sich in Fetzen auflöst. Wolken bilden sich aus unzähligen Leibern, die aufeinander zufliegen, sich berühren, durchdringen, verschlingen, auffressen, ausspeien, in kleinere Wirbel zerstäuben, sich neuerlich zusammentun, voluminöse Blubber bilden, die implodieren und sich in Wohlgefallen auflösen». Und weiter heißt es: «Könnten unser beider Gedanken, Wünsche, Sehnsüchte, Hoffungen sein, in Bewegung geraten».

Der Ich-Erzähler ist Stipendiat der Villa Massimo, wo er für zehn Monate Quartier bezieht, um ungestört schreiben zu können, eine große Ehre, fast schon ein Ritterschlag für jeden Schriftsteller. Die geschichtsträchtige Ewige Stadt bietet ihm eine Fülle von neuen Eindrücken, wobei er allerdings auch kritisch anmerkt, das vieles hier, auch in der Villa Massimo, nur auf antik getrimmt ist. Auf langen Spaziergängen durchstreift er täglich die Stadt, um Inspirationen für den Roman zu sammeln, den er hier zu schreiben gedenkt. Bis er schließlich, durch die Corona-Pandemie gezwungen, seine täglichen Expeditionen einstellen muss. Zu allem Unglück löscht er auch noch versehentlich und unreparabel auf seinem Laptop den fast fertigen, neuen Roman. Er zieht für einige Jahre nach Trastevere um und beschließt, dort über den Filmregisseur Pier Paolo Pasolini zu schreiben. Nach einigen Schwäche-Anfällen entschließt er sich schließlich widerwillig, seinen Hausarzt in Deutschland anzurufen, mit dem er auf sehr vertrautem Fuße steht, er duzt ihn und nennt ihn nur «Min Skipper». Der beordert ihn sofort nach Deutschland zurück, und nach einigen Untersuchungen steht dann fest, dass er Krebs hat. Als Kämpfernatur beschießt er, nicht aufzugeben, sich der Konfrontation mit dem Tod zu stellen. Dieser Weg zurück ins Leben macht den größten Teil der Erzählung aus, er wird äußerst anschaulich und mitreißend beschrieben.

Ein lebensbejahender und Mut machender Roman also, dessen Stärke und Alleinstellungs-Merkmal die eigenwillige und auch eigenständige Sprache ist, in der er geschrieben wurde. Es wimmelt darin nur so von vielerlei Reihungen, wie sie exemplarisch im Zitat vom Einzug der Stare nach Rom zu sehen sind. Der vorwärts drängende, reportageartige Erzählfluss wird auch durch das Weglassen der Subjekte in vielen Sätzen verstärkt, wie nachfolgendes Beispiel zeigt: «Bekomme Krämpfe in den Fingern. Schlafen mir die Arme ein. Kribbeln. Werde vom Schwindelgefühl befallen. Weiß plötzlich nicht mehr, was ich schreiben wollte». Stilistisch verbinden sich hier Wortwitz, lustige Wortspiele und rasanter Sprachrhythmus miteinander, die dem Roman, in Hinblick auf seine Thematik allerdings irritierend, etwas sehr Eigenständiges verleihen.

Fazit:   lesenswert

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Genre: Roman
Illustrated by Penguin

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