Linda Förster läuft Gefahr, vollkommen den Verstand zu verlieren. Dabei hat die 29-jährige Grundschullehrerin, die nach einem Verkehrsunfall mühsam aus mehrtägigem Koma erwacht, schon in ihrer Kindheit viel durchmachen müssen. Sie wurde entführt und von einem psychotischen Täter in ein Erdloch gesperrt, aus dem sie nur gerettet wurde, weil der ermittelnde Kriminalist bei der Täterbefragung härter zufasste, als es das Regelwerk gestattet.
Linda kann sich jedenfalls nur bruchstückhaft an den folgenschweren Autounfall erinnern, bei dem laut Polizei ihr Mann getötet wurde. Besonders schwierig ist, dass die Erinnerungsfetzen, die aus dem Nebel des Vergessens auftauchen, von den Ermittlungen abweichen. So sind zwar die wichtigsten ihrer Erinnerungen, die ihre Identität bilden, vorhanden. Doch darüber hinaus schütteln die Medizinmänner nur den Kopf und wollen sie gern länger zur Beobachtung unter ihren Fittichen behalten. Denn die Frau trifft angeblich Ärzte, die es gar nicht gibt. Sie glaubt, ihr damaliger Entführer, der lebenslang einsitzt, sei nachts in ihr Krankenzimmer gekommen und habe ihr eröffnet, sie jetzt endgültig ermorden zu wollen. Und sie ist überzeugt, allein in dem Auto gefahren zu sein, in dem ihr Mann den Unfalltod erlitt.
Linda scheint durch den Zusammenstoß derart aus der Bahn geworfen, dass sie phantasiert und Gespenster sieht, die aus ihren Albträumen aufsteigen und real werden. Angehörige, Freunde, Ärzte und Kripoleute schütteln den Kopf ob ihrer wirren Geschichten. Als dann auch noch ein Mord geschieht, in den die junge Frau vielfältig verwickelt ist, gerät sie selbst unter Tatverdacht. In ihrer Verwirrung sucht sie das Gespräch mit dem Kinderpsychologen, der ihr zwanzig Jahre zuvor geholfen hatte, das Trauma der Entführung zu überwinden. Der kennt sie genau und erinnert, dass sie bereits als Kind monatelang unter Halluzinationen gelitten hatte und sich von ihrem Entführer, der fest hinter Schloss und Riegeln saß, leibhaftig verfolgt sah.
Linda fürchtet nun bald selbst, durch den Unfall schizophren geworden zu sein. Wurde durch den Aufprall eine jener multiplen Persönlichkeiten in ihr geweckt, von denen sie sonst nur in Psychothrillern las? War sie vielleicht wirklich verrückt und stellte sie eventuell sogar eine Gefahr für die Allgemeinheit dar, wie ein Richter glaubt, der sie wegschließen lassen möchte?
Chris Karlden versteht es, in langsamen Windungen Gestalten aus dem Unterbewusstsein aufsteigen und Gestalt annehmen zu lassen. Gekonnt schichtet er die Spannung in seinem Roman, der in einem echten Psychoverwirrspiel mündet. Bald wird alles zu einem Karussel von Wahn und Wirklichkeit, von Schein und Widerschein, von Realität und Fiktion.
Um von ausgetretenen Krimi-Wegen abzuweichen, überschlägt der Autor sich allerdings am Ende selbst, in dem er versucht, den Geschehnissen immer noch eins drauf zu setzen. Das macht die Lektüre in des Schlußsequenzen anstrengend und könnte dazu führen, dass manch ein Leser die gesamte Story als ein klein wenig zu abgedreht empfindet.
Unabhängig davon ist Chris Karlden ein hochtalentierter, anspruchsvoller Erzähler, auf dessen nächste Veröffentlichungen man gespannt sein darf.
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