Mit den „Positionen“ legt P.P. Wiplinger ein umfangreiches Werk vor, das sein schriftstellerisches Schaffen auf stimmige Art ergänzt. Er, der immer das Leben vor das Schreiben setzte, bzw. das Engagement vor die pure Kunst, lässt uns darin an seinem Briefverkehr mit zahlreichen Persönlichkeiten aus der österreichisch und internationalen Kulturlandschaft ebenso teilhaben, wie an kritischer und kämpferischer Korrespondenz mit diversen Amtspersonen. Zudem ist das Buch gespickt mit Essay, Referaten und Reden, gehalten zu nachlesenswerten Anlässen, verfasst alskulturpolitische Statements.
Die Briefform liegt Wiplinger literarisch. Seine direkte Art Dinge anzusprechen, dabei lebendig und poetisch bildhaft sein zu können, zählt zu den Qualitäten des Buchs. Schon 196o, also in einem der ersten der Briefe (an Melitta Mühlborn), postuliert er, daß Briefe eine Weise seien, die Persönlichkeit, das Denken mit jemandem zu teilen. „Jeder Brief ist ein Teil, ich möchte sagen: ein Spiegelbild unserer Persönlichkeit“.
Bevor ich auf das Werk näher eingehe, eine grundsätzliche Äußerung: eingedenk der schnellebigen Postmoderne, in der Information zur Ware verflacht wird, da in der rasenden Selbstüberholung der Berichterstattung das Vergessen bereits begründet liegt, fällt„Positionen 196o – 2012“ unter die zeitgeschichtlichen Dokumente. Fragen, die uns heute bewegen sind früh von Wiplinger in die Rinde des Baums der Ereignisse eingeritzt, und wir können anhand des Wachstums knorrige Auswüchse und Verzerrungen deutlich ablesen. Für den an Geschichte, Politik, Literaturgeschichte Interessierten ein wertvolles Nachschlagewerk, das tatsächlich aufgrund des umfangreichen gelungenen Indexes auch dementsprechend zu verwenden ist. Vollständige Themenbereiche freilich erschließen sich aufgrund der gewählten Form eher selten –will man Wiplingers Konflikt mit dem Österreichischen PEN Club verstehen, muss man wohl andere Quellen zurate ziehen. Selbiges gilt für ähnlich komplexe Themen, allerdings mögen die „Positionen“ als Einstiegsdroge gelesen werden, die Sucht auf mehr Wiplinger auslösen kann. Seine „Lebenswege“, dutzende andere Werke liegen ja vor, die quer zu den Briefen gelesen tiefe Einblicke in sein Denken sowie in kulturelle (Fehl-) Entwicklungen gewähren.
Immer wieder beeindruckt sein Anschreiben gegen den Braunen Sumpf in Österreich, ob er gegen fragwürdige Bürgermeister, FPÖ Politiker und/oder Holocaust Verharmloser ins Feld zieht. Seine Schriften entbehren jedoch herzhaft-kräftig der modern typischen Negativverliebtheit. Sein aufmunternder Ton lässt sich gut heraushören in einem Brief an die (ja erst kürzlich verstorbene) Ceija Stojka, als er ihr 1995mitteilt, „dass Sie sich, liebe Ceija Stojka, sowohl durch Ihre beiden Bücher literarisch, aber vor allem durch Ihr engagiertes öffentliches Eintreten für die Menschenrechte und die humanistischen Grundprinzipien und Ihr mutiges Auftreten gegen jede Art von Rassismus und Intoleranz für eine Mitgliedschaft […] qualifiziert haben.“ Und auch persönlich drückt Wiplinger seine Freude über einen möglichen Beitritt der Roma-Autorin zum PEN-Club aus.
Wunderschön klingt in einem Statement das grundhumane Selbstverständnis Wiplingers an (im Brief 2o12 an Dr. Johanna Agreiter): „Und die Rebellion war meine Dynamik, die mich getrieben hat. Veränderung wollte und will ich noch immer, nicht endlose Erklärungen […] Eines hat man aber trotz aller individuellen inakzeptablen Gegenpositionen jedem Menschen nicht nur zu schulden, sondern aktiv zu erweisen, nämlich Respekt; Respekt auch vor dem Andersdenkenden und dem Anderssein. … Dagegen schreie und schreibe ich mein ganzes Leben schon an: gegen diese Intoleranz, gegen diese Überheblichkeit, gegen dieses Sich-selbst-zum-Richter-Machen. Das geht einfach nicht! Liebe und Zuneigung überschreiten Grenzen, Grenzziehungen (die einen sowieso nur in das eigene Ghetto einsperren). Empathie sollte, nein muss unbedingt über Grenzen hinweg ausgebreitet und wirksam sein; sonst leben wir in einer von uns selbst enthumanisierten, zerstörten Welt.“
In einem frühen Brief Wiplingers ist der zackige Aufmarsch von Veteranen, die Gefallene aus den Kriegen zu ehren gedenken, nicht vergessen, wobei seine Wut betreffs des „Deserteurthemas“ saftig aufblitzt und das Dunkel erhellt: „Ein Jägerstätter, wegen Wehrdienstverweigerung zum Tod verurteilt und hingerichtet, hat mehr für die Heimat getan als ein ganzes Bataillon Frontsoldaten.“ Nicht dem Vergessen anheimgegeben ist Franz Fuchs, der Attentäter von Oberwart, sind die Tragödien des Bosnienkriegs mit den Massenmorden, ist die leidige Bush-Administration, sind der Fall des Eisernen Vorhangs und Hilfssendungen an Bulgarische Schriftsteller. Fast muss man sich als Rezensent schämen, weil so wenig von dem, was Wiplinger dokumentiert, in der Beschränktheit der Mittel auch nur angerissen werden kann…
Seine Liebe zur Musik sei den „Antworten auf die Fragen der Dissertantin Arletta Szmorhun, 2oo4“ entnommen, da dieseWiplingers skeptische Haltung gegen den Intellektualismus bekunden: „Auch wenn der Autor Camus heißt und einmal ein modisches Zeitgeist-Kultbuch geschrieben hat [bezogen auf „Der Mythos des Sisyphos“] mit dem abertausende Intellektuelle ihren geistigen Existenznachweis, ihre Legitimation zu erbringen versucht und sich dabei selbst entmündigt haben, der Schlusschor der Matthäus-Passion, von Johann Sebastian Bach, oder Mozarts Requiem sind mir näher als alles andere, weil sie mich wirklich zutiefst berühren, weil ihre Botschaft Ewigkeitswert hat und zeitlos gültig ist.“
An anderer Stelle warnt Wiplinger eindringlich vor dem Hineinstürzen in die Emotionen, auch wenn er selbst sie immer wieder suchte. Doch als Ratgeber seien sie oft unzuverlässig.
Wie sein Offener Brief aus dem Bezirksblatt in meinbezirk.at, vom 25.12.2o12 beweist, kämpft P. P. Wiplinger nach wie vor voll herrlicher und gescheiter Emotionalität: „Sehr geehrter Herr Bürgermeister, waren Sie heute Nacht in der Mette? Hatten Sie mit Ihrer Familie […] einen schönen Heiligen Abend? Naja, sicherlich. Und haben sie eigentlich eine Ahnung (nein, ich glaube nicht), wie es Menschen geht, die aus ihrer Heimat flüchten mussten […] so sie nicht im Meer ersaufen?! […]. Was machen wir (Mühlviertler und andere Österreicher, wir alle eben) mit einem solchen Bürgermeister, der glaubt, derart menschenverachtende Einschätzungen haben zu dürfen und sie noch dazu ganz lässig und verantwortungslos von sich geben und damit manipulativ umgehen zu dürfen? […] Bei Menschenrechtsverletzungen gibt es keine Diskussion, ob richtig oder falsch, so als sei jede Meinung a priori durch die gegebene Meinungsfreiheit schon als richtig anzusehen und legitimiert! Formulierungen inhumaner Inhalte unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit sind somit nicht der beurteilenden Kritik entzogen und sind nichts anderes als die Widerspiegelung einer inhumanen Gesinnung. Menschenrechtsverletzungen sind das, was sie sind, ohne jede langwierige Herumdiskutiererei, Interpretation oder was auch immer. Menschenrechtsverletzungen sind durch nichts und durch niemanden zu relativierende und so zu rechtfertigende Vergehen an Menschen!“ (Auszug aus dem Brief an den Bürgermeister Alfred Hartl, Bad Leonfelden /OÖ)
Manfred Stangl