Paradox. Am Abgrund der Ewigkeit

35D95D6D-1967-48D0-9D0A-E85F4EE5B4FEWas macht gute Unterhaltungsliteratur aus? Neben den Aspekten Sprache, Stil, Ästhetik sowie der Kraft, Bilder im Kopf des Lesers zu erzeugen, ihn zu fesseln und zu binden, spielt der Aspekt des Lernens und der Öffnung des eigenen Denkhorizonts ein wichtige Rolle. Gerade in dieser Hinsicht bietet der völlig zu Recht mit dem Kindle Storyteller Award ausgezeichnete Roman „Paradox“ ein Beispiel.

Zwei voneinander getrennte Handlungsstränge eröffnen den Science-Fiction-Thriller von Phillip P. Peterson. Da gibt es den Weltraumpiloten und Hardcore-Praktiker Ed, der sich nichts vorschreiben lässt, Vorgesetzen widerspricht, wenn es angebracht ist, und sein eigenes Leben aufs Spiel setzt, sobald es gilt, seine Crew zu retten. Ein erfahrener Einzelgänger kurz vorm Ruhestand, der sich schwer ins Team fügt und dessen Dickelschädel gefürchtet ist, wobei er genau weiß, dass unangepasstes Verhalten in hierarchischen Strukturen wie Luftwaffe und Raumfahrt selten karriereförderlich ist.

Auf der anderen Seite begegnen wir dem jungen Wissenschafts-Nerd David, dessen Doktorarbeit deshalb nicht cum laude bewertet wurde, weil er Anomalien am Rande des Sonnensystems bemerkt hat, die die Grenzen unserer physikalischen Kenntnisse sprengen könnten. Jedenfalls ist dem Doktoranden aufgefallen, dass einige Flugkörper immer an ein- und demselben Punkt im Kosmos verschwinden und jeder Kontakt verloren geht. Er sieht darin eine Gesetzmäßigkeit, die unerklärlich scheint.

Diese beiden Typen führt Phillip P. Peterson nun zusammen auf eine phantastische Reise an die Grenzen unseres Universums, die mittels Photonenantrieb fast in Lichtgeschwindigkeit bewältigt werden kann. Ermöglicht und finanziert wird das Projekt von einem visionären Internet-Milliardär, der damit mögliche Siedlungsräume für die sich selbst vernichtende Spezies der Erdlinge finden will. Natürlich hat dieser Industrielle, der an Tesla-Gründer Elon Musk erinnert, seine eigenen Pläne, die von denen der in das Projekt involvierten US-Regierungs- und Armeekreise abweichen.

So kommt es zwangsläufig zu einem Zusammenstoß zwischen Praktiker und Theoretiker, zumal letzter aufgrund klaustrophobischer Beklemmungen alles andere als für eine Weltraumfahrt geeignet zu sein scheint. Peterson beschreibt das Leben und die Arbeitsgänge an Bord des Raumschiffes „Helios“ kenntnisreich, anschaulich und exakt. Hier spürt der Leser sofort, dass er an keinen arabischen Märchenerzähler, sondern an einen Fachmann geraten ist, der weiß, worüber er schreibt. Kein Wunder, denn hinter dem Autor steckt ausnahmsweise mal kein Ami, es handelt sich um einen promovierten Raumfahrttechniker aus dem Rheinland.

Nun geht es in dem Thiller, der 30 Stunden lang Pageturnerqualität bietet, vor allem um die Spannungen, die auf jedem einzelnen Teammitglied liegen, die ständigen Herausforderungen durch herumwirbelnden Weltraumschrott, scharfkantige Asteroiden und kreuzgefährliche Andockmanöver sowie das Unbekannte an den Grenzen des menschlichen Wissens. Anschaulich und nachvollziehbar wird die Entwicklung der Persönlichkeiten gezeichnet, die auf engstem Raum zum Zusammenleben gezwungen sind. Dabei vergeht viel Zeit, die der Roman scheinbar in Lichtgeschwindigkeit zurücklegt, ohne störende Zeitsprünge aufzuweisen.

Um aber nicht zu viel zu verraten und auf den anfangs erwähnten Wissenszuwachs zurück zu kommen: Der Leser wird mit dem Fermi-Paradoxon bekannnt gemacht, das als eines der größten Rätsel unserer Zeit gilt und die Frage zu beantworten sucht, warum wir bislang keine Spuren außerirdischen Lebens nachweisen können, obwohl die Wahrscheinlichkeit für dessen Vorhandensein extrem hoch ist. Dabei könnten diese Zivilisationen, schreibt Peterson, sehr viel älter sein als die entwicklungsgeschichtlich blutjunge Menschheit und sich schon deshalb unserer Vorstellungskraft entziehen. Wir denken immer, wenn wir auf weiterentwickelte Außerirdische stoßen, sind uns diese vielleicht tausend Jahre voraus und drohen mit Laserkanonen wie in den Hollywood-Filmen. Wie jedoch eine Zivilisation aussehen könnte, die uns Millionen Jahre voraus ist, darauf haben selbst die besten Wissenschaftler keine Antwort.

Im Zusammenhang mit dem Fermi-Paradoxon wird die Zoo-Hypothese illustriert. Laut dieser Theorie sind die Außerirdischen längst hier. Sie beobachten uns heimlich, wie wir das mit manchen Tieren in heimischen Zoos machen. Und vielleicht wollen sie nicht, dass wir unser Gehege verlassen und bauen eine Illusionskulisse um uns auf …

Aber keine Angst. „Paradox“ ist kein theorieschwangerer Welterklärungsroman. Es ist in erster Linie ein Thriller, der quasi im Nebenstrang interessante Fragen aufwirft, die auch unser Selbstverständnis berühren. Ein Zukunftsroman, der in greifbarer Nähe spielt und mit zum Besten im Bereich der wissenschaftlichen Phantastik zählt, das in jüngerer Zeit von deutschsprachigen Autoren publiziert wurde. Eine Geschichte, deren Ausgang der Leser unbedingt erfahren will, und die Spannung vom ersten bis zum letzten Augenblick bietet. Ein Buch, das im Self-Publishing verlagsunabhängig veröffentlicht, durch die Leser zum Erfolg und durch die Prämierung mit dem Kindle Award in die Topliste des Bastei-Verlages gespült wurde.

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Genre: Science-fiction, Self-Publisher
Illustrated by Bastei Lübbe

2 Gedanken zu „Paradox. Am Abgrund der Ewigkeit

  1. Diese Buchbesprechung hat Lust auf mehr generiert, und so musste ich das Werk von Herrn Peterson halt kaufen. Ich bin seit früher Jugend ein Konsumment von SF Literatur; bei Peterson dürfte das nicht wesentlich anders sein, jedenfalls erinnern einige seiner Ideen an die Geschichten von Robert A. Heinlein:
    Die Menschheit hat ihr Energieproblem gelöst, Wärme, Kraft, Licht ist in beliebigen Mengen günstig zu haben (Heinlein: Shipstone Corp.). Trotzdem bekriegen sich die Grossen munter weiter, ein grösserer Konflikt steht vor der Tür. Es geht um die letzten Erdölreserven, die jeder haben will. Daher interessiert sich die Öffentlichkeit kaum für diese Expedition, die mit einer Crew von vier völlig unterschiedlichen – von Peterson fein ausgearbeiteten – Charakteren sich an die Grenzen unseres Sonnensystems aufmacht. Es soll erforscht werden, wieso sämtliche von der Erde loschgeschickten Sonden spurlos verschwinden, sobald sie das Sonnensystem verlassen. Ein neuartiger Antrieb, der auf Antimaterie basiert, macht diese Reise in einem schlappen Jahr möglich. Ein Jahr ist eine lange Zeit für die vier, die sich im Grunde genommen nicht riechen können, weil sie zu unterschiedlich ticken.
    Ähnlich wie in den Romanen und Kurzgeschichten von Steinbeck gibt es zum Schluss kein Happy End.
    Mehr sei nicht verraten. Achso: Das Lesen hat Spass gemacht und ich kann diesen Roman durchaus empfehlen.

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