Gärtner der Nation- Die vier Leben des Karl Foerster

Schon das Geleitwort bereitet auf Foersters Facettenreichtum vor: es gäbe „auch dunkle Flecken in der Biographie“. Es endet: „Dem Buch ist sehr viel Erfolg zu wünschen, der von der Wahrhaftigkeit der Darstellung getragen sein möge.“

Für diese Wahrhaftigkeit war dann die Vorgehensweise des Autors erforderlich: Im Prolog stellt er seine zehnjährige Recherche vor; er hat in der Breite Quellen gesucht. Ihm geht es um Foersters Weltanschauung, seine Erfolgsmethoden und die familiären und beruflichen Beziehungsgeflechte. Das ist ihm gelungen, auf über vierhundert Seiten Text und siebzig kleingedruckten mit Anmerkungen. Die von dessen Witwe Eva Foerster 1982 herausgegebene Biographie sei vor allem „einnehmend“ gewesen.

Er geht Jahr für Jahr vor. Stammbäume der Familien Foerster und Hildebrand, die seiner Frau Eva, helfen, Begegnungen seines fast hundert Jahre langen aktiven Lebens zu verfolgen.

Anfangs war es mir zu genau: Warum musste ich erfahren, dass die Familie Mitte des achtzehnten Jahrhunderts einen unehrenhaften Konkurs einer Textilfabrik in Schlesien hinlegte? Vielleicht aber doch, weil auch Karl, wie sein Vater, risikoreiche und nicht immer erfolgreiche Investitionen tätigte, Schulden machte. Interessant dann der Vater, Professor und Wissenschaftler, der sich für die internationale Einführung des metrischen Systems einsetzte und in internationalen Gremien wirkte—deshalb hatte er den Umlaut im Namen ersetzt.

Die fünf Kinder wurden als Freidenker erzogen, nicht nur Karl war ein schlechter Schüler. Sie wuchsen in der Sternwarte auf, im Garten hatten sie ihre Beete. Der große Bruder Friedrich Wilhelm wird, wie der Vater, Professor, Karl geht ohne Abschluss von der Schule ab, macht eine Gärtnerlehre in Schwerin, dem Heimatort der Mutter.

Innerhalb der Familie ist er der „Neurastheniker“, ein Sorgenkind, in „nervenärztlicher“ Behandlung. Die Geschwister nennen ihn „Eitelbauch“. In der Familie wird nicht schlecht über andere Menschen gesprochen, man versucht Menschen anzunehmen, wie sie sind. Und Karls Selbstbewusstsein leidet nicht unter seinem anders Sein.

Er braucht viele Jahrzehnte zum Erwachsenwerden, wird wegen des Bauchgrimmens vom Wehrdienst befreit, nimmt sich Zeit: Ohne einen Hausstand zu gründen, lebt er in Pensionen, gerne mit Gärten und mitfinanziert von der Familie. Er beobachtet die Natur, vor allem Stauden. Später wird er von überall geeignete Ableger erbitten, sie weiter züchten und mit einem originellen Namen verkaufen.

Vater und großer Bruder sind politisch aktiv, gründen Vereine etwa gegen Antisemitismus und eine Gesellschaft für ethische Kultur, Karl macht mit, inzwischen hat er einen Gartenbetrieb und stellte sich vor, wer alles von der Gesellschaft Pflanzen brauchen könnte. Der Vater hatte anlässlich der Vereinsgründung auch ein Gespräch mit der Kaiserin Friedrich, sie wollte gleich eintreten, aber er muss ihr abraten, das hätte die Beziehung zu ihrem Sohn, dem Kaiser Wilhelm, erschwert.

Foerster publiziert über die kosmische Kraft, die Gärten uns Menschen gäben. Seine Schriften werden Soldaten im Weltkrieg zur Verfügung gestellt, um einen optimistischen Zukunftsausblick zu fördern.

„Sich mit Gartenschönheit zu umgeben, erzeugt Glück und innere Freiheit.“ So wirbt er für die Zeitung dieses Namens, die er mit anderen herausgibt, Wimmer schreibt nicht nur über das von den Autoren Verfasste, auch über deren Zusammenarbeit in der Geschäftsführung. Foerster konnte mit sehr verschiedenen Persönlichkeiten auch in Zeiten, in denen sie verfolgt wurden, ob Juden oder Kommunisten, 1931 traten zwei seiner Mitarbeiter (Hammerbacher und Mattern) in die KPD ein. Auch mit führenden Nazis ist er befreundet, vor der Machtergreifung und weiterhin.

Immer schreibt er über seine Gedanken, immer tiefgründig, über jedwede Fragen und natürlich auch über die von ihm gezüchteten Neuheiten. Die Artikel werden alphabetisch geordnet verwahrt und, bei Gelegenheit, passend gemacht, wieder verwendet. Und das nicht nur in seiner Zeitschrift. Eine andere Publikationsform werden die Kataloge seiner Pflanzen, als Erster druckt er Fotos, bald lässt er seine Pflanzen von Künstlern malen. Schön muss es sein, und das trägt zum Erfolg bei, der zu Zweigstellen bis nach Königsberg führt.

Nachdem die Nationalsozialisten die Macht übernommen hatten, geht es um die Gartenkultur des Volkes, um die traurigen Schicksale der Stadtmenschen, jeder sollte einen Garten haben. Auch in der Gartenschönheit wird debattiert. Sind Flachdächer gut oder lieber Spitzdächer? Dazu Wimmer trocken: “Ob Stauden zum Neuen Bauen gehören oder zum Heimatschutz, ist nicht geklärt.“

Foerster kann seine magische Weltsicht gut mit völkischen Ideen verbinden. Und warum sollte man bei Menschen nicht „Zuchtwahl“ betreiben? Auch bei Pflanzen braucht es Sichtungsfelder. Sein Frauenbild lässt ihnen in Gärten keinen Raum: denn die Gärten sind aus der Psyche des Mannes heraus gestaltet. Was er wohl von Freud hielt? Seiner Frau hat er schon auf der Hochzeitsreise diktiert, sie fühlte sich als Mitarbeiterin… Mir half es, Foerster als Kind seiner Zeit zu verstehen, hier fiel es dann doch schwerer. Wimmer trägt sehr viel „Wahrhaftes“ zusammen, selten liest sich die Geistesgeschichte von Preußen so dicht verwoben.

Vor über hundert Jahren hatte er das Landhaus in Bornim gebaut, einen Gärtnereibetrieb geschaffen, und solide Pflanzen geschaffen, für die er keine Patente wollte. Manchmal kann ich schmunzeln, wenn Wimmer ganz sachlich, und wie unbeabsichtigt, Situationen in Zusammenhänge stellt, etwa, wenn ihr Kind sich in der Schule danebenbenommen hat und die Mutter im nächsten Satz Depressionen bekommt. Oder eine Anregung macht: Tochter Marianne wird wegen einer vermuteten Tuberkulose, die dann aber keine ist, in eine Anstalt im Kleinen Walsertal verlegt. Als Karl eine Gartenreise in die Nähe macht, schlägt Wimmer vor, er hätte sie doch besuchen können. Aber italienische Gärten waren wichtiger.

Als die DDR gegründet wurde, war er fast im Rentenalter und eine in sich ruhende Persönlichkeit, die schon ein Lebenswerk geschaffen hatte. Viele Schriften wurden vernichtet, entnazifiziert wurde nicht, er wurde bevorzugt behandelt und geehrt. Als bei der Rede, zu seinem 95 Geburstag sogar von einer kommunistischen Zelle im Bornimer Betrieb die Rede war, was hat er wohl dabei gedacht…

Wimmer ist, wie im Geleitwort gefordert, streng wissenschaftlich vorgegangen und hat ein komplexes Bild der Geistesgeschichte vieler Jahrzehnte in Preußen geschaffen. Wer gerne über Foersters „seelische Urgeleise“ liest, kann das. Und wem das schwülstig erscheint, nickt zustimmend, wenn 1935 ein US-Verlag, die Bitte, den „Zauberschlüssel“ zu übersetzen mit folgenden Worten ablehnt: “it cannot very well be translated literally nor spiritually on account of the spirit in many parts exclusively of German sentiment for which the American public would have no understanding and would wonder what’s all about.“ (Es kann weder wörtlich noch geistig übersetzt werden, da in vielen Teilen ein ausschließlich deutsches Gefühl vorhanden ist, für das ein amerikanisches Publikum kein Verständnis hätte und sich fragen würde, worum es geht.)


Genre: Biographie
Illustrated by VDG als imprint von arts+science weimar

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