Flammenwand

Starker Tobak für arglose Leser

In Dantes göttlicher Komödie ist die «Flammenwand» der Übergang vom Fegefeuer ins Paradies, im gleichnamigen Roman von Marlene Streeruwitz wird man mit diesem Bild im Kopf als Leser auch gleich auf die richtige Spur gesetzt. Der Untertitel «Roman mit Anmerkungen» weist auf eine zweite Erzählebene hin, im Anhang berichtet die streitbare österreichische Autorin von politischen Geschehnissen in ihrer Heimat während der Entstehung ihres Romans, beginnend am 19. März 2018 und endend am 9. Oktober des gleichen Jahres. Parallel zu ihrer aus feministischer Sicht geschilderten Geschichte einer gescheiterten Beziehung gleicht die zweite Erzählebene einem süffisanten, 83teiligen journalistischen Report über die österreichische Politik dieser Zeit, – ein Mann namens Strache lässt grüßen!

Adele, die Protagonistin, ist eine geschiedene, kinderlose Frau Anfang fünfzig, sie lebt in Wien und arbeitete als erfolgreiche Sprachlehrerin für Migranten. Um mit Gustav, einem auf das Großkapital spezialisierten Berliner Steuerfahnder, zusammen zu sein, hat sie ein Karenzjahr eingelegt, sie wohnt mit ihrem Lover während seines längeren beruflichen Ausland-Aufenthalts in Stockholm. Ihre sexuelle Beziehung ist durch seine mutmaßliche Impotenz problematisch geworden, nach anfänglich für sie beglückenden Koitus-Erlebnissen befriedigt er die äußerst sinnliche Frau inzwischen nur noch manuell. Bis ihr der Anruf einer anderen Frau plötzlich die Augen öffnet, in einem machohaften Versteckspiel genießt Gustav nämlich ganz offensichtlich seine manipulative Macht über die masochistisch veranlagte Adele. Verstört verlässt sie die Wohnung und läuft ziellos durch Stockholm.

Dieses odysseeartige Herumirren bei minus 15 Grad ist ein einziges Sinnieren der Heldin über ihre Beziehung, ein permanentes Rekapitulieren der gemeinsam verbrachten Zeit und der von Gustav dominierten Gespräche miteinander. Immer wieder zwischen Verlustängsten und Befreiungswunsch schwankend kreisen ihre Gedanken auch um frühe Kindheitserlebnisse mit den unbeirrt faschistisch orientierten Eltern, wobei besonders die häufig brutale Bestrafung ihres Bruders durch den sadistischen Vater tiefe seelische Spuren in ihr hinterlassen hat. Sie leidet seither zutiefst unter jeder Form maskuliner Allmacht, deren reale Entsprechungen sich im journalistischen Anhang häufig widerspiegeln. Insoweit ist der Roman ein Versuch von Marlene Streeruwitz, patriarchalische Machtfantasien zu demaskieren, wobei offen antifeministische Einstellungen nach Erscheinen des Romans dann ja eindrucksvoll und kaum widerlegbar durch das Ibiza-Video bewiesen wurden. «Bist du deppert, die ist schoaf» äußert sich der spätere Innenminister da proletenhaft im schönsten Schmäh. Und das scheint durchaus auch exemplarisch zu sein für das fragwürdige Frauenbild der neuen Rechtspopulisten im Geburtsland des Führers!

Adeles ruhelose Gedankenspiele um Verdammnis und Läuterung bilden den gesamten Plot, ein ständig von Kontrollverlust bedrohter, endloser Selbstfindungstrip, dessen Ausgang der Roman offen lässt. Erzählt wird dieses Um-sich-selbst-Kreisen als Bewusstseinsstrom im typischen Streeruwitz-Sprech, ein unverwechselbarer, stakkatoartiger Sprachfluss in Kurzsätzen jenseits aller Dudenregeln. Der ist außerdem noch, – bewusst, wie die Autorin im Interview gesagt hat -, mit österreichischem Idiom authentisch angereichert und bildet somit wirklichkeitsnah die Gedankensprünge ihrer gequälten Heldin ab. Sprachlich konventionell hingegen wird in der politischen Chronik berichtet, deren Sinn es sei, an der Realität der gesellschaftlichen Situation zur Zeit der Handlung keinen Zweifel zu lassen, wie die Autorin erklärt hat. Und diesem Fußnotentrick verdanken wir zuweilen auch einige denkwürdige Momente beim Lesen, so wenn zum Beispiel der «Kanzlerbub» das Kopftuchverbot verkündet. Ansonsten aber ist dieser unendlich eintönige Roman einer hysterischen Masochistin starker Tobak für arglose Leser!

Fazit: mäßig

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Fischer Verlag

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