Für Rockmusik-Fans wie geschaffen
Der Roman der amerikanischen Schriftstellerin Jennifer Egan mit dem kryptischen Titel «Der größere Teil der Welt» wurde bei seinem Erscheinen mit Preisen überhäuft, von denen der ‹Pulitzer Prize for Fiction› des Jahres 2011 der wichtigste ist. Die englische BBC wählte ihn zu einem der bedeutendsten Werke des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Was den Titel anbelangt, bringt auch das Original, «A Visit From The Goon Squad», keine Klärung, denn «Ein Besuch vom Schlägertrupp» trifft weder das, was im Roman passiert, noch das, was mutmaßlich mit ihm gesagt werden soll. Die Autorin hat als wichtigste Inspirationsquelle für ihre Story die «Recherche» von Marcel Proust genannt, und demnach dürfte die wahre Intention ihres Romans wohl eher eine ‹allegorische Suche nach der Wahrheit› sein.
In nicht-chronologischer Folge werden dreizehn nur lose miteinander verknüpfte Geschichten erzählt, die sich um die Hauptfiguren Bennie und Sasha ranken. Schauplätze sind San Francisco, New York, Neapel und ein Safaripark in Kenia. Beginnend als Bassist der Band «Flaming Dildos» hat Bennie Salazar, unterstützt durch seinen kokain-abhängigen Mentor Lou, eine steile Karriere hingelegt und es zum erfolgreichen Musikproduzenten gebracht. Seine überaus tüchtige Assistentin Sasha hat eine Affäre mit Alex, der später, von Bennie angeheuert, seinem obdachlosen Schulfreund Scott zu einem Comeback als Musiker verhelfen soll. Weil Sasha als Kleptomanin ständig in Angst ist, erwischt zu werden und gesellschaftlich abzustürzen, kehrt sie der Musikbranche irgendwann endgültig den Rücken, um ein bürgerliches Leben zu führen, – sie heiratet einen Arzt und wird Mutter.
Eines Tages provoziert Bennie den Aufsichtsrat seiner inzwischen mit dem Label «Sow’s ear» groß gewordenen Plattenfirma, indem er den Sitzungs-Teilnehmern zum Mittagessen Kuhfladen servieren lässt, – und auf der Stelle gefeuert wird. Bennies spätere Frau wiederum arbeitet für die Public-Relation-Managerin Dolly, deren Tochter Lulu mit Alex liierte ist. Um einem südamerikanischen Diktator zu einem besseren Image in der Öffentlichkeit zu verhelfen, soll Bennies Schwager als Journalist die Film-Schauspielerin Kitty Jackson, deren Karriere auf dem Tiefpunkt ist, dafür engagieren, sich mit dem Potentaten für die Klatschpresse fotografieren zu lassen. Bei einem Spaziergang im Central Park von New York versucht der Journalist, Kitty zu vergewaltigen, und wird verhaftet. Im vorletzten Kapitel führt die junge Alison auf 75 Seiten grafisch, also im Powerpoint-Stil, ihr Tagebuch vor, worin schließlich auch die akribische Analyse ihres Bruders zu Pausen in der Rockmusik dargestellt wird.
Beginnend in der Hippie-Ära, reicht die zeitliche Spanne des Romans über Punk und New Wave bis ins frühe Internetzeitalter. Man bedauert als Leser, dass dem Buch keine CD beigelegt wurde, mit deren Hilfe man, auch als Laie, die verschiedenen Ausflüge in die Rockmusik wenigstens akustisch nachvollziehen könnte. Die einzelnen Kapitel werden aus den unterschiedlichsten Perspektiven erzählt; einen nachvollziehbaren Plot gibt es nicht. Wobei die einzelnen Szenen oft abrupt wechseln, der Leser ist einem permanenten Wechselbad der Gedanken und Gefühle ausgesetzt. Und es geht nicht immer nur um Musik, oft wird auch Moral oder Gewalt thematisiert, und manchmal sogar Politik und Gesellschaft. Jennifer Egan hat ein umfangreiches Figuren-Ensemble erschaffen, deren einzelne Charaktere stimmig geschildert werden. Mit vielen eingestreuten Aphorismen bleibt ihre sprachlich effizient, in bester amerikanischer Tradition erzählte Geschichte stets anschaulich. Völlig humorfrei stilistisch nüchtern behandelt sie zielgerichtet ihre ineinander verwobenen Themen, zu denen die Reue zählt und der latente Wunsch, Versäumtes nachholen, an alte Erfolge anknüpfen zu können. Dabei dürften manchen Lesern allerdings die häufigen musikalischen Ausflüge, anderer Hörpräferenzen wegen, ziemlich suspekt bleiben, was den potentiellen Leserkreis deutlich einschränken dürfte!
Fazit: lesenswert
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