Ilsebill salzte nach
Dieser Dreiwortsatz, der mir hier als Überschrift dient, leitet den neben «Die Blechtrommel» wichtigsten Roman von Günter Grass ein. Der Satz wurde dreißig Jahre nach dem Erscheinen von «Der Butt» in einer Internetumfrage zum schönsten ersten Satz eines deutschsprachigen Romans gekürt. Kann er Lust machen auf die folgenden fast siebenhundert Seiten, wie es seine Aufgabe ist, und halten diese Seiten dann auch, was er vorab verspricht?
Das bekannte Märchen «Vom Fischer und seiner Frau» liefert das Gerüst für eine sexistische Variante der Geschichte, die den Kampf der Geschlechter von der Jungsteinzeit bis in die Neuzeit, bis zur Guillaume-Affäre, episodenhaft beschreibt. Grass übernimmt den Namen Ilsebill als zeitlose Verkörperung der Frau, deren Mann, seinerseits stellvertretend für das männliche Prinzip, den Butt fängt. Zum Dank für seine Freilassung steht der ihm nun als gleichermaßen fachkundiger wie streitbarer Berater für die Sache der Männer zur Seite. Als zeitliches Handlungsgerüst fungiert in der ersten Erzählebene die Schwangerschaft von Ilsebill, Grass benennt seine Kapitel dementsprechend mit «Erster Monat» bis «Neunter Monat». In den so gegliederten Epochen tritt in der zweiten Erzählebene der Ich-Erzähler in immer wieder neuen Rollen als Mann auf, dem jeweils eine andere Frau als Köchin zu Seite steht, das weibliche Prinzip verkörpernd. «Bevor gezeugt wurde gab es Hammelschulter zu Bohnen und Birnen» erfahren wir auf der ersten Seite, womit gleich noch ein weiteres Leitmotiv dieses ambitionierten Romans anklingt, die Geschichte des Kochens nämlich. Dabei steht hier die kaschubische Küche im Blickpunkt, deren ungewohnt deftigen Rezepte, das sei mir, ganz subjektiv, gestattet zu sagen, uns Heutigen eher abschreckend erscheinen dürften als appetitanregend. Vor einem spöttisch geschilderten, weiblichen Tribunal, eine bissige Parodie des RAF-Prozesses, muss sich der Butt als Spiritus Rector der männlichen Sache verantworten, auch dies ein ständig wiederkehrendes Leitmotiv.
Es dürfte klar sein, dass «Der Butt» mit einem derart komplexen Aufbau nicht gerade als leicht lesbar bezeichnet werden kann. Unendlich viele Zeitsprünge ebenso wie das völlig ausufernde Figurenensemble mit – ich habe sie nicht gezählt – gefühlt hunderten von Namen erfordern volle Konzentration vom Leser. Durch häufiges, auch mehrmaliges Rekapitulieren von wichtigen Geschehnissen hat Grass allerdings, zumindest für die Hauptfiguren, die Zuordnung ein wenig erleichtert. Schwierig aber bleibt seine, mit unglaublich vielen umgangssprachlichen, mundartlichen, zeit- und ortsbezogenen, oft derben Wörtern und originellen Wortbildungen gespickte Sprache, die selbst vor vulgärsten Ausdrücken nicht zurückschreckt, was Elke Heidenreich einst mit «ekelhafte Altmännerliteratur» quittiert hatte. Wie auch immer, die Fülle an Details ist jedenfalls erdrückend, oft wird ein dutzend Bezeichnungen allein für eine bestimmte Rübe benutzt, und ähnliches gilt für die vielen geografischen Namen im einstigen Pommern, die nur Wenigen heute noch geläufig sein dürften, um von den diversen, geschichtlich kleinräumigen Ereignissen ganz zu schweigen.
Das Buch ist, in einer extrem dichten Sprache, aus unverkennbar männlicher Sicht geschrieben, auch wenn Günter Grass sich vordergründig ganz demonstrativ auf die Seite der Frau schlägt in seiner historischen Darstellung. Die heftige Kritik in Alice Schwarzers damals gerade neu gegründeter Zeitschrift «Emma» aber ist nachvollziehbar, er entlarvt sich des Öfteren selbst. Unverkennbar jedoch ist auch seine köstliche Ironie, die sich in vielen verblüffend lakonischen, ja beißend sarkastischen Wendungen zeigt, die den oft üppig ausschweifenden Roman wohltuend zu beleben vermögen. Weder Matriarchat noch Patriarchat scheinen die ideale Gesellschaftsform zu sein, so das wahrlich nicht überraschende Fazit dieser lesenswerten Emanzipations-Satire.
Fazit: erfreulich
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