Carsten Henn erzählt die Geschichte des Buchhändlers Carl Kollhoff, der auch im Ruhestand nicht davon ablassen kann, ausgewählten Kunden genau diejenigen Bücher zu bringen, die diese gern lesen wollen. Seine Zeit ist abgelaufen, sein ehemaliger Arbeitgeber hat das Ladengeschäft an seine Tochter abgegeben, die sich als moderne Sortimenterin versteht und den Alten gern loswerden will.
Kollhoff trifft bei seinen täglichen Botengängen ein neunjähriges Mädchen namens Schascha, das ihn begleitet und durch ihre Unbefangenheit und Neugierde die Kunden vom »Buchspazierer«, wie sie Carl nennt, aufschließt. Bald freuen sich Kolhoffs Kunden nicht nur auf den vertrauten Boten und seine Ware, sondern sie warten auch auf das altkluge Mädchen im gelben Anorak.
Der Autor setzt mit seinem mitunter wehmütig schwingenden Roman dem klassischen Buchhandel ein literarisches Denkmal und öffnet damit die Herzen all jener Leser, denen Bücher mehr bedeuten als Margarine und Leberwurst. Mit der Figur des Buchspazierers schafft er einen Doktor Allwissend, der für jeden Patienten das richtige Medikament, sprich Buch, kennt und dabei en passant den Kanon der Unterhaltungsliteratur durchstreift. Das macht die warmherzig verfasste Geschichte für Büchernarren spannend und führte wohl auch in kurzer Zeit zum Aufstieg der Veröffentlichung in die SPIEGEL-Bestsellerliste.
Ob ein kleines Mädchen tatsächlich imstande ist, recht verschrobene Charaktere innerhalb kurzer Zeit zu ändern und ihren selbst gesponnenen Kokon aufbrechen zu lassen, sei dahingestellt. Das Buch mag deshalb eher als Parabel für die Freude am Lesen und den Genuss von Büchern verstanden werden. Dann wirkt es trotz mangelnder Plausibilität entspannend und durchaus anregend. Am Ende fügt sich alles, und es winkt ein Happyend.
Ein bisschen durchweht den Roman der Mythos von der »guten alten Zeit«. Handys und Online-Buchhändler sind überflüssig, das Buch allein und sein intimer Kenner, der gute Buchhändler alter Prägung bilden die Basis der Literaturvermittlung.
»Der Buchspazierer« bietet angenehme Sofa-Lektüre, die ein klein wenig auf die Tränendrüsen drückt und häufige Aha-Effekte des Wiedererkennens von Literatur- und Buchzitaten bewirkt. Insgesamt eine offensichtlich gute Mischung für einen umsatzstarken Buchtitel in einer Welt, in der die Situation des Buchhandels vollständig verändert wird.
Fazit: Nett, unverbindlich, unterhaltsam
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