Das Recht auf Schlaf

Eine „Laudatio auf den Schlaf“ nennt Till Roenneberg seine „Kampfschrift“. Der Professor am Institut für Medizinische Psychologie der Ludwig-Maximilians-Universität München ist Schlafforscher und Chronobiologe, also ein Erforscher unserer biologischen Uhr. Er beherrscht damit das Thema und möchte Nichtfachleuten Wissen vermitteln. Ob es ihm gelingt, steht allerdings auf einem anderen Blatt.

Roennebergs Buch „Das Recht auf Schlaf“ will provozieren und dabei zum Nachdenken über Schlaf anregen. Der Forscher geht davon aus, dass die Funktion des Schlafs darin besteht, „Fehlfunktionen während des Wachseins zu verhindern“. Dazu versucht er, die Funktion und die Funktionsweise des Schlafs zu ergründen.

Schlaf ist nach seiner Überzeugung eine Art „Boxenstopp“ für unser Gehirn. In dieser Zeit werden viele wichtige „Arbeiten“ erledigt, wofür der Körper seine Zeit braucht und deshalb abschaltet.

Der Autor befasst sich mit dem Phänomen, wonach wir im Schlaf neue synaptische Verbindungen bilden sowie neue Nerven-Netzwerke knüpfen, um die Flut der Eindrücke des Tages zu verarbeiten. Dazu ziehe der Körper den Stecker des Bewusstseins, um „das unbewusste Gehirn im Tiefschlaf mit langsamen, synchronisierten elektrischen Wellen durchfluten“ zu können. Ein Gehirn im Wachzustand unterscheide sich nachgewiesenermaßen massiv von einem schlafenden Gehirn.

Niederländische Kollegen hätten in diesem Zusammenhang festgestellt, dass sich der Raum zwischen Nervenzellen, der „interstitiale Raum“ im Schlaf vergrößert und mit Flüssigkeiten durchflutet wird, während die Nervenzellen selbst schrumpfen, da sich der Schädel naturgemäß nicht ausdehnen kann.

Roenneberg nimmt an, dass hierbei eine Art von Aufräumarbeit stattfindet, um eine optimale Gehirnleistung zu gewährleisten. Auch auf biochemischer Ebene sei ein massiver Tagesrhythmus nachweisbar.

Ausgehend von dem Leitsatz, wonach nichts in der Biologie Sinn macht, außer man betrachtet es im Lichte der Evolution, widmet sich der Wissenschaftler folgerichtig dem Thema Träume. Er widerspricht der herkömmlichen Theorie, wonach die REM-Schlafphase die Zeit sei, in der wir Traumgeschichten spinnen.

Gemäß seiner Boxenstopp-Theorie bestreitet er, dass das Gehirn Wartungszeiten damit verbringt, Live-Dream-Geschichten zu ersinnen. Er ist vielmehr überzeugt, dass Träume Aufwach-Geschichten sind, deren Inhalte aus den Boxenstopp-Wartungsarbeiten stammen, die kurz zuvor durchgeführt wurden.

Nur weil wir die lebendigsten Geschichten beim Erwachen hervorzaubern, „heißt das noch lange nicht, dass das Gehirn schon während der Wartungsarbeiten Live-Dreaming abspult“. Dabei messe das Gehirn keine Zeit, sondern konstruiere Zeit über Ereignis-Dichte. Der Träumer schließe daraus, einen bisweilen langen Spielfilm geträumt zu haben.

Diese zentrale und viele andere Thesen, Ideen und Denkanstöße finden sich in dem Sachbuch „Das Recht auf Schlaf“. Als Wissenschaftler, der gern provoziert, äußert Till Roenneberg sich unter anderem auch zur populistischen Debatte um die sogenannte Zeitumstellung. Dieses Stichwort spielt eine untergeordnete Rolle im Kontext und sollte bei aller Leidenschaftlichkeit nicht zum Maß der Buchveröffentlichung gemacht werden.

Abschließend empfiehlt der Verfasser anhand von Formeln, den eigenen Chronotyp zu bestimmen. Jeder solle sich die mentale Erholung gönnen, die er für ein gesundes und vitales Leben braucht. Schlaf sei der Teil des Lebens, der das Wachsein möglich macht und damit Voraussetzung für Wohlbefinden und Gesundheit.

Till Roenneberg behandelt in seinem Buch spannende Fragen der Schlaf- und Traumforschung und gibt einen profunden Überblick zum Stand der Forschung. Das „schlafende Selbst“ und den eigenen Chronotyp wertzuschätzen, ist Ziel seines „Manifests“.

Professor Roenneberg versucht viel, um sein Thema salopp zu behandeln und möglichst anschauliche Bilder zu entwerfen, die im Rezipienten haften bleiben. Als hochqualifizierter Akademiker tut er sich allerdings schwer, sein Thema vor einem breiten Publikum auszubreiten.

Ob er Leserschichten erreicht, die erstmals mit dem Thema in dieser Dichte konfrontiert werden und vielleicht ein vergnüglich-populäres Sachbuch zum Thema Schlaf erwarten, wagt der Rezensent zu bezweifeln. Dazu steckt der Forscher viel zu tief in akademischen Diskursen und Auseinandersetzungen, und natürlich präsentiert er auch keinen „Nachruf auf den Wecker“ wie der Untertitel seines Buches verspricht, sondern im Kern einen Überblick über den Stand der eigenen wie der wissenschaftlichen Forschung insgesamt.

Unabhängig von der Frage der Zielgruppe ist „Das Recht auf Schlaf“ ein spannendes Buch, das sich gewinnbringend liest.

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Genre: Sachbuch, Wissenschaft
Illustrated by dtv München

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