Thema des Buches »An allem nagt der Zahn der Zeit« ist die Vergänglichkeit. Der Autor geht davon aus, dass der Mensch als jüngste Spezies auf dem Planeten Erde bereits mit einem Bein im Grab steht. Zwar wissen wir nicht, auf welcher Stufe der Entwicklung wir stehen, auf der anderen Seite seien wir extrem anfällig für jede neue, überraschend auftretende Epidemie, da wir alles – und damit unsere Zukunft – auf ein einziges Organ setzen, und das ist das Gehirn.
Autor Midas Dekkers, ein Biologe aus den Niederlanden, befasst sich in seinem vor Fakten überschäumendem Werk unter anderem mit der immer wiederkehrenden Behauptung, »früher« sei alles viel besser gewesen. Das sei tatsächlich nur ein Gefühl, denn es gebe in der Evolution, der es gleichgültig sei, ob es vorwärts gehe, weder Fortschritt noch Rückschritt. Es gebe nur ein Schreiten, und damit müssten wir uns abfinden. Wenngleich unsere Kultur durchtränkt sei von Zielen, Strategien und Herausforderungen, habe das Leben, biologisch betrachtet, kein Ziel.
Deshalb sei es auch ebenso menschlich wie vergeblich, Vergangenes im alten Glanz wieder erstehen zu lassen. In jeder Ruine gehe es lebendiger zu als in einem Schloss, selbst eine Maus käme Tage nach ihrem Tod durch das Gewimmel der Maden zu neuem Leben. Verwesung sei Veränderung, und Veränderung sei Leben.
Natur sei keine Ansichtskarte, argumentierte Dekkers, sie sei »ein Film, ein Thriller«. Denn nichts bleibt, wie es war – und genau das mögen wir nicht. Deshalb werde die Uhr nicht nur angehalten, sondern möglichst weit zurückgedreht. Man holt sich zurück, was man früher hatte. Man erhält nicht, was man hat, sondern holt sich zurück, was man früher hatte.
Dekkers beschäftigt sich auch mit unserem Zeitempfinden. Wie kommt es dazu, dass ältere Menschen das Vergehen der Zeit sehr viel schneller empfinden als in jungen Jahren? Der Autor findet eine Erklärung in der Psychologie. Denn man messe sein Leben immer an der bekannten zurückliegenden Lebensspanne. Ist ein Zeitjahr für ein Kind ein Viertel seines bewussten Daseins, so stellt es für einen alten Menschen kaum mehr als ein Prozent dar. Die Geschwindigkeit der Wahrnehmung variiere, aber das Ticken unserer Lebensuhr verlaufe bei allen Säugern immer gleich: Unabhängig davon, ob man ein Elefant oder eine Maus ist, hat das Herz nach ungefähr 1 Milliarde Schläge ausgeschlagen.
»Was wir Sterben nennen, bezeichnet nur den Tod der letzten Reste, das meiste ist schon lange ohne irgendeine Form von Trauer über Bord geworfen worden.«, schreibt Dekkers. Der Rest dürfte noch ein Weilchen leben, um sich über die Zeit zu wundern. Dabei spiele unser Gedächtnis eine wesentliche Rolle. Ohne kollektives Gedächtnis sei die Menschheit rettungslos verloren. Genau daraus resultiere unser Drang, Vergangenes zu konservieren und möglichst wieder lebendig zu machen.
Das Buch ist eine kenntnisreich geschriebene Ode an die Vergänglichkeit, die doch so normal ist wie alles, was unser Leben ausmacht. Ein lesenswertes Buch!