Quantität versus Qualität
Mit ihrem Debütroman legt Taiye Selasi ein Epos über eine neue Spezies von Weltbürgern vor, für die sie den Namen Afropolitans geprägt hat. Es sind dies junge, erfolgreiche Menschen mit afrikanischen Wurzeln, die über alle Erdteile verstreut als Eliten leben, oft aber den schwarzen Kontinent noch nie betreten haben, mit dem sie in ihrem Innersten verbunden sind. So erklärt sich die Aufmerksamkeit der Medien und des Publikums zum guten Teil auch mit dem unbekannten Sujet dieses kosmopolitischen Romans, der den plakativen deutschen Titel «Diese Dinge geschehen nicht einfach so» trägt.
In einer gleich von Anbeginn an mitreißenden erzählerischen Wucht entwickelt die Autorin ihre Geschichte raffiniert um ein zentrales Ereignis herum, auf das sie immer wieder zurückkommt: den einsamen Tod des begnadeten Chirurgen Kweku, der am frühen Morgen im Garten seines Hauses in Ghana einem Herzinfarkt erliegt. Die Geschehnisse in den Minuten von der ersten Schmerzattacke bis zum Hinsinken ins taubenetzte Gras werden immer nur häppchenweise erzählt, unterbrochen jeweils von ausgedehnten Rückblenden in die Vergangenheit dieses einst so erfolgreichen Mannes und seiner kunterbunten Familie. Er bleibt auch im Fokus bis zum Schluss, einem arg inszeniert wirkenden Showdown allerdings, bei dem die verstreut lebenden Familienmitglieder anlässlich seiner Beerdigung in Ghana nach langer Zeit alle wieder zusammentreffen.
Es sind die Brüche im Leben einer sechsköpfigen Familie in den USA, denen die Autorin nachspürt, deren Vorbedingungen sie aufzeigt, deren Unabwendbarkeit sie zu erklären sucht. Der Chirurg Kweku muss unschuldig als Opfer herhalten, er wird fristlos entlassen, die Klinikleitung erfüllt damit beflissentlich die Rachegelüste einflussreicher Sponsoren. Seine Karriere scheint ihm zerstört, er verschweigt das aber seiner Familie und kämpft monatelang vergebens um seine Reputation, wobei er sich finanziell ruiniert. Der gewaltsame Rauswurf aus der Klinik nach einem letzten Protest wird von seinem völlig verdutzten Sohn beobachtet, den er zum strikten Schweigen verpflichtet. Untröstlich und voller Scham verlässt er spontan und ohne Abschied seine Familie. Seine nigerianische Frau handelt beherzt, gibt das Haus auf, schickt ihre Zwillinge zum Halbbruder nach Lagos, reicht die Scheidung ein, baut sich ihre eigene Existenz auf. Als Kweku Wochen später zurückkehrt, sind seine Frau und die vier Kinder spurlos verschwunden, die Zäsur ist endgültig. Er geht in seine Heimat zurück, heiratet dort noch einmal und lässt sich schließlich sein Traumhaus bauen von einem wundersamen Handwerker. Der älteste Sohn Olu, ebenfalls Arzt, rätselt immer wieder über die absolute Tatenlosigkeit des Vaters, der die Symptome eines Herzinfarkts sehr wohl gekannt hat, aber partout nichts tat, um Hilfe zu holen. So als ob Kweku den Tod herbeigesehnt hätte nach einem für seine perfektionistischen Vorstellungen aus dem Ruder gelaufenen Leben.
Eine Stärke dieses Romans ist die geradezu eindringliche Figurenzeichnung, die den Leser emotional in das äußerst detailliert geschilderte Geschehen hineinzieht, ihn fast hineinzwingt. Erschwert wird das aber durch eine verwirrende Namensgebung, bei der auch ein knapper Stammbaum vorne im Buch nicht wirklich hilft. Hinzu kommen die häufigen, teils aberwitzigen Zeitsprünge und hektischen Perspektivwechsel, nach denen dann oft lange unklar bleibt, über wen überhaupt berichtet wird. «Großes Gefühlskino» würde man einen Film vermutlich überschreiben, der auf diesem Romanstoff aufbaut. Mehrfach taucht denn auch ein fiktiver Kameramann auf, der Kwekus Leben filmt. Die auch fotografisch tätige Autorin soll von Toni Morrison persönlich in Oxford zum Schreiben animiert worden sein, glaubt man dem werbewirksam verbreiteten Gerücht. Der üppige Roman ist jedenfalls nahe am Rande des Kitsches angesiedelt, weniger Emotionen, weniger Wunderkinder, weniger «jung-schön-intelligent-erfolgreich», aber auch weniger tragisches Scheitern wäre mehr gewesen, so mein Fazit. Bei wichtigen Figuren wie der schnöde verlassenen Exfrau zum Beispiel bleibt der Roman nur an der Oberfläche, über ihre seelischen Wunden erfährt der Leser merkwürdigerweise fast nichts. Diese fehlende Tiefe ist denn doch recht enttäuschend!
Fazit: lesenswert
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