Der schmale Pfad durchs Hinterland

Beklemmende Lektüre

Für den Roman «Der schmale Pfad durchs Hinterland» erhielt der tasmanische Schriftsteller Richard Flanagan 2014 den britischen Booker Prize. Inhaltlich stützt sich die Geschichte auf Erlebnisse seines Vaters, der im Zweiten Weltkrieg als Kriegsgefangener in einem japanischen Arbeitslager beim Bau der ‹Todeseisenbahn› quer durch den Dschungel von Thailand und Burma eingesetzt war. Damit greift er eine Thematik auf, die weltweit durch die Verfilmung von Pierre Boulles Roman «Die Brücke am Kwai» bekannt geworden ist.

Held des Romans ist Dorrigo Evans, ein vielversprechender junger Chirurg, der sich zum Militär gemeldet hatte und von den Japanern nun als Lagerarzt an der Bahnstrecke einsetzt wird. Unter unmenschlichen Bedingungen schuften dort mehr als tausend Gefangene an einem Teilstück der vom Kaiser höchstpersönlich angeordneten, militärisch wichtigen Nachschublinie, die in ihrer Dimension einem ‹Pharaonenprojekt› gleicht. Die Soldaten der Alliierten stoßen dabei auf einen japanischen Patriotismus, bei dem Gefangenschaft als schändliche Schwäche gilt. Eine fanatische Denkweise, denn ein Soldat ergibt sich nicht, er kämpft für seinen Kaiser bis zum ehrenvollen Tod. Was da im Urwald passiert, verhöhnt die Genfer Konvention, die Gefangenen werden wie Vieh behandelt. Sie sind in einem erbärmlichen Zustand, die Cholera bricht aus, sie sterben wie die Fliegen. Ihr baldiger Tod ist absehbar für den Lagerarzt, mangels Medikamenten und medizinischen Instrumenten kann er ihnen aber auch kaum helfen. Gleichwohl muss er sie als arbeitsfähig einteilen, um die vom Kommandanten jeweils geforderte Zahl von Arbeitskräften bereitzustellen, auch Schwerkranke sind dabei. Jeder tote Gefangene ist nämlich ein guter Toter für die Japaner, sein Leben ist rein gar nichts wert, sein Tod erlöst ihn vielmehr von seiner Schmach.

Eingebettet in diese später als Kriegsverbrechen geahndeten Gräuel ist eine tragische Liebesgeschichte, die sich wie ein roter Faden durch das Leben von Dorrigo zieht. Obwohl er verlobt war, hatte er sich kurz vor seinem Kriegseinsatz unsterblich in Amy, die junge Frau seines Onkels verliebt, für Beide die Liebe ihres Lebens. Während der Gefangenschaft erhält er einen Brief von seiner Verlobten Ella, die ihm einen Zeitungsausschnitt mitschickt, aus dem hervorgeht, dass Amy bei einer Gasexplosion im Hotel seines Onkels ums Leben kam, man hatte sie anhand des Gebisses identifiziert. Am Ende kommt es zu einer Katharsis, die in ihrer berührenden Tragik an große antiken Dramen erinnert. Weite Teile des auktorial erzählten Romans widmen sich jedoch den unsäglichen Verhältnissen, unter denen der Arzt und die Gefangenen dahinvegetieren. Angesichts der ausufernd und detailliert geschilderten, sadistischen Gräueltaten und der jede Vorstellungskraft sprengenden, unbehandelt bleibenden Verletzungen sind starke Nerven erforderlich beim Leser, wenn er nicht gerade zu den abgehärteten Fans von Horrorgeschichten gehört.

Nach dem Krieg macht der als Held verehrte Dorrigo eine glänzende medizinische Karriere, der Roman beginnt mit den Erinnerungen des nunmehr 77jährigen Witwers. Die erweisen sich jedoch oft als lückenhaft und unsicher. Voller Empathie und weit ausgreifend werden in diversen Episoden menschliche Schicksale aus dem Gefangenenlager geschildert. Aber auch über das weitere Leben des sadistischen Kommandanten und seiner brutalen Mittäter nach Kriegsende wird berichtet. Die Schlüsselfrage, die dieser Roman stellt, richtet sich auf den Sinn des Überlebens in Anbetracht der Schuld, die man dabei auf sich geladen hat. Im Interview betonte Flanagan, «dass Hoffnung der Antrieb des Lebens ist», und fügte hinzu, «für einen Geschichtenerzähler ist die größte Hoffnung die Liebe». Er interpretiert sein Buch als Liebesroman, für den er leitsymbolisch eine rote Blume einsetzt. Wie auch immer, diese beklemmende Lektüre dürfte als virtuos erzähltes Wechselbad zwischen schlimmstem Gräuel und ewiger Liebe lange nachwirken.

Fazit: erfreulich

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Genre: Roman
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