Amanda herzlos

Einakter und Unrechtsstaat

Der letzte Roman von Jurek Becker mit dem Titel «Amanda herzlos», erschienen 1992, ist zeitlich kurz vor dem Fall des Eisernen Vorhangs angesiedelt. Wie immer beim Autor des berühmten Romans «Jakob der Lügner» ist auch hier seine ureigene literarische Methode deutlich zu erkennen, nämlich selbst außerordentlich ernste Sujets «komödienähnlich» zu bearbeiten, wie er selbst es formuliert hat. Ironie und Komik wären der von ihm präferierte Ton, das habe möglicherweise auch was mit Unterhaltsamkeit zu tun. Dieser Roman ist thematisch eindeutig mehr ein Liebesroman als ein DDR-Roman, die Probleme beim Zusammenleben beider Geschlechter werden aus verschiedenen Perspektiven umfassend und mit analytischem Blick beschrieben. Dass dabei ein ebenso totalitäres wie dümmliches, ungeliebtes politisches System den Hintergrund liefert, ist dem Dissidenten Jurek Becker als Motiv erkennbar ebenfalls wichtig. Eine Pointe seiner Geschichte besteht schließlich genau darin, dass die am Ende, nach schikanösem Papierkrieg vieler beteiligter Behörden, endlich genehmigte Ausreise der Protagonistin Amanda in die Bundesrepublik Deutschland kurz vor dem Mauerfall erfolgt, – man hätte nur zu warten brauchen, aber wer konnte das schon voraussehen?

In dem dreiteiligen Roman erzählen drei Männer jeweils aus der Ich-Perspektive über ihre Ehefrau beziehungsweise Lebenspartnerin Amanda, der das Wort «herzlos» anhängt, – zu Recht nach dem Urteil von zwei der Männer, die über sie berichten. Sie ist eine Schönheit, rätselhaft wie eine Sphinx, hat ihr Studium abgebrochen, hat schriftstellerische Ambitionen und ist gleichermaßen intelligent wie wortgewandt. Mit ihrem Ehemann, dem Ostberliner Sportreporter Ludwig Weniger, hat sie einen kleinen Sohn. Ludwig ist ein notorischer Fremdgänger, er hatte sogar mit ihrer einzigen Freundin eine leidenschaftliche Affäre. Das Paar hat sich auseinandergelebt, sie sind voller Misstrauen gegeneinander und wollen sich scheiden lassen, dieser erste Romanteil beschreibt die Phase vor der Scheidung aus Ludwigs Perspektive. Im Mittelteil erzählt der Schriftsteller Fritz Hetmann von seinem Zusammenleben mit Amanda, wobei Jurek Becker eine narrativ raffinierte Geschichte-in-der-Geschichte konstruiert. Fritz hat während der Jahre mit Amanda eine Novelle über sein zunehmend schwieriger werdendes Zusammenleben mit Amanda geschrieben. Die ist ihm aber durch Sabotage – von ihr angestiftet, wie er vermutet – von der Diskette gelöscht worden. Da er keine Kopie hat, erzählt er die Novelle nun aus dem Gedächtnis nach, wobei er immer wieder virtuos die erinnerte Novelle und seinen aktuellen Bericht miteinander vermischt. Als Amanda sich im dritten, tagebuchartig erzählten Teil schließlich Hals über Kopf in Stanislaus Doll verliebt, einen westdeutschen Rundfunk-Korrespondenten in Ostberlin, und Fritz daraufhin verlässt, steuert diese dritte Liebesgeschichte auf eine Ehe zu.

Dieser Eheschließung steht jedoch im Wege, dass sie politisch quasi eine Mischehe darstellt, Ost mit West, mit dem feindlichen Ausland also, was vom Staat natürlich genehmigt werden muss. Und dafür wäre auch noch Amandas Ausreise nach Westdeutschland zu beantragen, denn ihr Zukünftiger wurde von seinem Chef nach Hamburg zurückbeordert. In all diesen Liebes- und Paarturbulenzen beherrscht der DDR-Alltag in seiner politischen Verlogenheit natürlich immer wieder die Szene, – die Stasi ist allgegenwärtig.

All das wird mit einem ironischen Unterton in einer fast schon kargen Sprache erzählt, wobei der Humor von Jurek Becker sich durch seine Beiläufigkeit auszeichnet, er ist nie aufgesetzt. So spricht Amanda zum Beispiel vom «Einakter» und meint damit das in der Regel nicht zu zwei Liebesakten hintereinander fähige Glied ihrer Liebhaber. Herzlos ist Amanda, weil sie ihre Männer nicht nur physisch bespöttelt, sondern vor allem psychisch demaskiert, – und den Unrechtsstaat, den sie verachtet, gleich mit dazu!

Fazit: erfreulich

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Suhrkamp Berlin

Bronsteins Kinder

becker-1Fast ein kleines Wunder

Manchem Roman ist es beschieden, immer im Schatten eines erfolgreicheren vom gleichen Autor zu stehen, bei Jurek Becker ist es der 1986 erschienene Band «Bronsteins Kinder», dem übermächtig «Jakob der Lügner» gegenübersteht, sein 1969 veröffentlichter, berühmtester Roman. Beide sind verfilmt worden, wen wundert’s, wenn der Verfasser zugleich auch ein bekannter Drehbuchautor war, die erfolgreiche TV-Serie «Liebling Kreuzberg» stammt aus seiner Feder. Seine polnische Herkunft und die jüdischen Eltern, von denen nur der Vater Ghetto und KZ überlebt hat, haben ihn in seiner literarischen Thematik stark geprägt, hinzu kommen noch seine Jahre in der DDR, der er nach mancherlei Querelen und Schikanen 1977 schließlich den Rücken gekehrt hat. Man tut sich als Wessi heute etwas schwer, den politischen Hintergrund der vorliegenden Geschichte richtig zu würdigen, – für deren Problematik allerdings ist er unbedeutend.

Denn es geht um fundamentale Fragen von Schuld und Sühne, um das Gegenüber von Täter und Opfer lange nach der Tat, hier im Roman eines SS-Aufsehers des KZs Neuengamme mit dreien seiner einstigen Insassen. Hans Bronstein wird zufällig Zeuge, dass sein Vater und zwei andere Männer einen ihrer früheren Peiniger in der Datscha seines Vaters gefangen halten und foltern, ihm drei Jahrzehnte nach der Tat ein Schuldgeständnis abpressen wollen. «Darf einer, der mit dreißig Jahren geschlagen wurde, mit sechzig zurückschlagen?» ist eine der Fragen, mit denen sich Hans plötzlich konfrontiert sieht. Er wird ungewollt in einen schweren Loyalitätskonflikt mit seinem Vater hineingezogen, der niemals wird überwinden können, was ihm als polnischem Juden an Unrecht widerfahren ist. Den Justizorganen jedenfalls trauen die drei ehemaligen Opfer nicht; eine angemessene Bestrafung ist von diesem deutschen Staat keinesfalls zu erwarten, davon sind sie überzeugt.

Jurek Becker erzählt diese Geschichte in zwei Zeitebenen, und er beginnt: «Vor einem Jahr kam mein Vater auf die denkbar schwerste Weise zu Schaden, er starb. Das Ereignis fand am vierten August 73 statt, oder sagen wir ruhig das Unglück, an einem Sonnabend. Ich habe es kommen sehen.» Mit lakonischem Duktus, in einer einfach zu lesenden, kristallklaren Sprache, entwickelt Becker seine spannende Geschichte, wobei er in der zweiten Zeitebene rückblickend von den Geschehnissen im Zusammenhang mit der Selbstjustiz berichtet und von den Nöten, die seinen Protagonisten als einzigen Zeugen und Mitwisser umgetrieben haben. Durch die Entführung war eine zwickmühlenartige Situation entstanden, denn nicht nur die rachedürstenden ehemaligen KZ-Insassen mussten eine Entdeckung fürchten, das Opfer hatte gleichermaßen Angst vor Entdeckung und einem unvermeidlich folgenden Strafverfahren. In seiner Gewissensnot sucht Abiturient Hans Rat bei seiner in einer psychiatrischen Anstalt weggeschlossenen, deutlich älteren Schwester, die schubartig zu unkontrollierten tätlichen Angriffen gegen fremde Menschen neigt, mit der er jedoch ein inniges Verhältnis hat, – er besucht sie oft, sie schreibt ihm rührende Briefe in einer kuriosen Orthografie. Seine Freundin Martha einzuweihen traut er sich nicht, die Beiden hatten die jetzt als Gefängnis dienende Waldhütte bisher als Liebesnest genutzt.

Nach dem überraschenden Schluss bleiben Fragen offen. Das ahnt man vorab schon, wenn nämlich gegen Ende des Buches nur noch ein paar Seiten übrig bleiben zur Klärung. Ist das nun ein Manko? Keineswegs! Der klug konstruierte Plot mit den stimmig beschriebenen, originellen Figuren schneidet wichtige Themen an, hält sich aber mit wohlfeilen Erklärungen, mit Wertungen gar, weise zurück. Die vorwärtsdrängende, leichtfüßige Erzählweise mit ihren amüsanten Wendungen macht diesen Roman zu einer ausgesprochen kurzweiligen Lektüre, was bei der komplizierten Vater/Sohn-Konstellation, die er so virtuos behandelt, und seiner schwierigen Schuld/Sühne-Thematik fast an ein kleines Wunder grenzt.

Fazit: erstklassig

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Suhrkamp Frankfurt am Main