Randschaften. Auf der Suche nach dem Wien unserer Kindheit.

Randschaften. Auf der Suche nach dem Wien unserer Kindheit: Wien vor 40 Jahren. In den Achtzigern. Die Stadt war damals grau und verlassen und eine Menge Seniorinnen mit ihren Hunden bevölkerten die ansonsten leeren Straßenbahnen. Meist trugen sie Pelzmäntel und waren grantig. Der typische Wiener Grant, den es damals auch noch an den Häuserfassaden gab. Ein nostalgischer Rückblick „auf der Suche nach dem Wien unserer Kindheit“ anhand von Fotografien und kurzen Texten zeigt in vorliegender Publikation, dass der goldene Westen auch einmal grau war. Dafür aber voller Charme.

Wien – Stadt an der Peripherie Europas

Was die Innenstädte von heute kennzeichnet, ist die Tatsache, dass sie zumeist von ausländischen Multikonzernen mit ihren Werbetafel und Aufschriften zugekleistert sind. Das war damals – in den Achtzigern – noch anders. Eine vor der Wende aus der DDR geflüchtete Freundin meinte, als sie über Ungarn nach Wien kam sei es ihr noch nicht bewusst gewesen, bereits im Westen angekommen zu sein. Wien war damals nicht im Herzen Europas, sondern an der Peripherie. Dieses Lebensgefühl fing auch der junge Fotograf (*1963) Harald A. Jahn mit seiner Kamera ein. Damals wie heute.  Was er zeigt, sind verfallene Häuserzeilen und Vorstädte, Geschäfte und Greissler des kleinen Mannes, aber auch alte Kinos oder den böhmischen Prater und die Flaniermeile Mariahilferstraße. Alle Bilder haben eines gemeinsam: sie zeigen ein Wien, das es heute nicht mehr gibt und so könnte man Jahn geradezu als Archäologen bezeichnen, auch wenn sich zwischen die Häuserfronten ein paar Porträts mischen. So etwa den 80-jährigen Schuster, der von Favoriten im Süden immer noch jeden Tag in den Westen in seine Werkstatt fährt.

Spurensuche in den Achtzigern und neuer Aufbruch

Spuren des Weltkriegs findet er im ersten Kapitel seiner „Randschaften“ genannten Bestandsaufnahme in Buchform, darauf folgen Villen, Durchhäuser und Bilder vom alten Nordbahnhof oder AKH. Im Cafè Theater an der Wien hatte er sich damals einen Scherz erlaubt und dem schlecht laufenden Café durch ein Kontaktinserat in einer Zeitung unter die Arme gegriffen. Es kamen lauter alte Herren und Frau Maria rettete dieser eine Abend pro Woche das Überleben. Später wurde daraus die Donauwelle, ein Ort, wo sich Laien und Dilettanten alte Operettenlieder vortrugen. Natürlich fehlen auch die Wirtshäuser nicht, Jahn hat sowohl die Tschocherl als auch die Brandineser aufgesucht und sie in seinem Fotalbum des Alten Wien verewigt. Eines davon liegt in der Moissigasse, in der Donaustadt, weit vom Zentrum entfernt. Dort wundern sich die Gäste, dass sich einer so ein Fotobuch antut. Aber Harald A. Jahn freut sich, die Orte seiner Kindheit wieder zu entdecken. Darunter auch das Fahrradgeschäft „Rih“ auf der Praterstraße, das nach dem Hengst Kara Ben Emsis benannt wurde. In Margareten, dem fünften Bezirk Wiens, findet er sogar noch ein Hutgeschäft, das von der damaligen Besitzerin betrieben wird.

Randschaften: Das Wien unserer Kindheit

Ein Glück für das Lokal und die Gäste, denn zumeist werden solche Geschäfte wenn es keine Nachkommen gibt geschlossen. Die neuen Mietverträge wären für Neuübernahmen zu teuer und so steht wieder ein Erdgeschosslokal leer. Harald A. Jahn leistet mit „Randschaften“ einen wichtigen Beitrag wider das Vergessen, denn gerade diese kleinen Geschäfte, die Gassenlokale, sind Teil der Identität Wiens und machen die Stadt unverwechselbar und unvergleichlich. Bis die Pandemie vorbei ist, warten wir alle auf eine neue Gründerzeit. Eine neue Renaissance dieser außergewöhnlichen Plätze. Mit den Greisslern hat es bereits begonnen und wer weiß, ob nicht bald wieder die Bäume blühen. Nicht nur im Prater.

Harald A. Jahn

Randschaften. Auf der Suche nach dem Wien unserer Kindheit

Wien 2021, 256 S., 390 Farbabb. im Text, 29,7 x 21 cm; broschiert

ISBN 978-3-85161-246-2

Phoibos Verlag

34,90 € *

 

 

 


Genre: Bilderbuch, Fotobuch, Reiseführer
Illustrated by Phoibos Wien