Monde vor der Landung

Hohlwelt und Hohlkopf

Der durch sein Faible für das Abwegige bekannte Büchner-Preisträger Clemens J. Setz schildert in seinem neuen Roman «Monde vor der Landung» das Leben des Querdenkers Peter Bender, dessen abstruse Theorien in der «Hohlwelt-Theorie» gipfeln. Der 1893 geborene Schriftsteller, Vortragsredner und Religionsgründer war im Ersten Weltkrieg an der Ostfront, wurde verletzt, heiratete eine Krankenschwester und zog mit ihr nach Worms. Lange bevor Donald Trump den sich selbst widersprechenden Begriff der «alternativen Fakten» in sein absurdes Vokabular eingeführt hat, ist der verquere Held dieses Romans jemand, der in seiner Blase lebt und für keinerlei wissenschaftliche Fakten empfänglich ist. Er ist einer, der sich rühmt, Kant widerlegt zu haben, ist selbst aber gegen jede Vernunft immun, bleibt geistig unrettbar in seinem Kokon gefangen. Mit Hohlwelt und Hohlkopf bringt man es auf den Punkt!

Peter Bender fühlt sich als Schriftsteller, sein einziger Roman, «Karl Tormann – Ein rheinischer Mensch unserer Zeit», wurde aber kaum verkauft, und seither beschränkt sich sein literarisches Tun auf Flugblätter. Außerdem unterhält er eine lebhafte Korrespondenz mit den wenigen Mitstreitern, die es für die «Hohlwelt-Theorie» gibt, über die er in seinen Vorträgen spricht. Sie basiert auf der Gedankenwelt von Cyrus Reed Teed, der sich «Koresh» Teed nannte, dem Gründer der «Koreshan Unity», einer in Florida ansässigen, religiösen Sekte, zu der Bender einen regen Briefkontakt pflegt. Deren zu Lebzeiten von Koresh etwa 4000 Anhänger waren überzeugt, die Welt ist nicht eine Kugel, «auf» der wir leben, sondern eine, «in» der wir leben. Sie sei auf der Innenwand bevölkert, und alle Himmelskörper, die wir sehen, seien in der Mitte platziert. Man würde viel Zeit und Geld sparen können, wenn man irgendwann quer durch die Hohlwelt reist und nicht den Umweg an der Außenhaut entlang nehmen muss. Folglich gründet Bender mit zwei Mitstreitern schon mal die «Wormser kosmologische Vertikalreise-Gesellschaft».

Er ist auch politisch aktiv und beteiligt sich 1918 an der Gründung des «Wormser Arbeiter- und Soldatenrats». Ein Jahr später gründet er die Religions-Gemeinschaft «Wormser Menschengemeinde», wird wegen Gotteslästerung angezeigt und zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt, später landet er sogar für kurze Zeit im Irrenhaus. Mit einer abstrusen, durch ein Kreuz symbolisierten «Doppel-Paar-Theorie» handelt er sich auch noch eine Klage wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften ein. ‹Eigene Gedanken wagen› ist Peter Benders Credo, schon beim Militär hat er einen Kameraden zu überzeugen versucht, dass die Überlebenschance bei einem Gasangriff mit Maske geringer sei als ohne Gasmaske. Ähnliches haben die Querdenker und Impfgegner unserer Zeit bei Corona ja auch behauptet, oder etwa nicht? Anfangs ihrer Ehe können die Benders von einer stattlichen Mitgift leben, seine Einkünfte als Vortragsredner hingegen sind kümmerlich. Durch Weltwirtschaftskrise und galoppierende Inflation ist die Mitgift dann aber bald aufgebraucht, sie kommen in finanzielle Nöte und müssen Beide Nachhilfestunden geben, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Die Romanfigur Peter Bender ist ein weltfremder Spinner, ein Möchtegern, der davon überzeugt ist, das «Majorat des Geistes» sei in ihm verkörpert, er sei im übrigen auch der legitime Nachfolger des «Koresh» und damit Führer der «Koreshan Unity». Auffallend ist die fehlende Distanz des Autors zur Romanfigur, erzählt wird das alles nämlich ohne jede ironische Brechung, die hier doch wahrlich angesagt wäre! Bender wird stattdessen geradezu liebevoll behandelt, obwohl er menschlich recht unsympathisch wirkt, ein Egomane, untreuer Ehemann, desinteressierter Vater, eine verkrachte Existenz also auch in emotionaler Hinsicht. So ausufernd, wie der Plot angelegt ist, werden insbesondere die ‹spinnerten› Passagen durch ständige Wiederholung schnell langweilig, ja geradezu lästig beim Lesen. Einzig erfreulich ist die stilistische Seite dieses Romans, er ist angenehm lesbar, sprachlich virtuos und wortgewaltig!

Fazit:  mäßig

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Genre: Roman
Illustrated by Suhrkamp Berlin

Indigo

setz-1Ein müder Abklatsch

«Irgendwann gewöhnt man sich gegen alles». Bastian Sick, Autor von «Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod», hätte seine helle Freude an diesem Wortspiel von Clemens J. Setz, das sich in seinem Roman findet und auch den Rückumschlag ziert. Ich glaube, irgendwann gewöhnt man sich an allem, auch am Dativ, woran ich mich aber partout nicht gewöhnen kann, das sind solche Romane! Großangelegte Experimente mit Wörtern, die keinen Sinn ergeben, Nonsens pur in Buchform, dem nur unbeirrbare Esoteriker eine tiefere Bedeutung andichten können.

Judith Schalansky, selbst Autorin bei Suhrkamp (Der Hals der Giraffe), zeichnet für Typografie und Einband verantwortlich. Mit lila Vorsatzpapier, handgeschriebenem Inhaltsverzeichnis, wechselnden Schriftfonds, eingestreuten Bildchen und Notizen im Faksimile hebt sich das Buch schon vom rein Handwerklichen her deutlich ab, vom Inhaltlichen her aber ist es gegen alle Konventionen. «So böse wie Nabokov, so virtuos wie David Foster Wallace» steht auf dem Rückumschlag, das hatte mich neugierig gemacht, und natürlich auch die Platzierung auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis.

Clemens J. Setz erweist sich als außerordentlich kreativer Kopf mit ausgeprägtem Sinn für schwarzen Humor, dem es gelingt, eine beklemmende, unheilschwangere Atmosphäre zu erzeugen, die bei manchen Lesern, glaubt man den diversen Rezensionen, sogar körperliche Wirkungen wie Kopfschmerzen zeitigt. Macht das ein «Meisterwerk» aus diesem Roman? Eine interpretierende Analyse dieser verwickelten, schwindelerregenden (sic!), manchmal sogar brutalen Textcollage erspare ich mir, der Autor gefällt sich nämlich in der Rolle des Nerds, der seine tumben Leser in einem ausgangslosen Labyrinth von Andeutungen, Rätseln und Geheimnissen umherirren lässt. Vieles ist abgründig und beiläufig gleichermaßen, nichts klärt sich auf. All das ist geschrieben in einer angenehm zu lesenden, klaren Sprache, die in einem auffallenden Gegensatz zu den sämtlich wirre erscheinenden Protagonisten steht, zu denen man, wie auch zum Plot, keinen rechten Zugang findet (ich jedenfalls). Kein Vergleich übrigens mit D.F.Wallace, der ist der wahre Meister der Postmoderne, Setz ist nur ein müder Abklatsch davon!

Fazit: miserabel

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Genre: Roman
Illustrated by Suhrkamp Frankfurt am Main