Maria, ihm schmeckt´s nicht

Italien ist spätestens seit Goethes »Italienische Reise« in Deutschland nicht nur literarisch ein Dauerbrenner. Nichts ist verkaufsfördernder in unseren Gefilden, als ein wenig »Italianitá«. Wer bestellt schon gerne »Kalbsrouladen«, wenn »Involtini di manzo« im Angebot sind. Und wehe dem Gastwirt, der ein Rehgoulasch als das bezeichnet was es ist, Goulasch eben, und nicht mindestens ein »Sugo vom Reh« daraus macht. Auch ein Neuwagen aus Wolfsburg, München, Ingolstadt oder sonst woher, verkauft sich einfach besser, wenn er vor der Kulisse von Amalfi fotografiert wurde statt vor einem Sonnenuntergang in der Lüneburger Heide.

Aber gerade weil das so ist, geht man natürlich erst einmal ein wenig auf Distanz, wird einem ein Buch angeboten, dass so viel italienischen »Lifestile« schon im Titel führt: »Maria« lautet unweigerlich das erste Wort. Dabei geht es nicht nur um italienische Frauen, sondern gleich um eine ganze Sippe. Vor dem geistigen Auge der Leserin und des Lesers spielen sich Szenen von rauschenden italienischen Festen ab, von wahren Pasta-Orgien, singenden Gondoliere und viel Herzschmerz, Vino, Urlaub, Robert de Niro, Al Pacino …

Um eines vorweg zu nehmen: Die Skepsis ist ganz und gar ungerechtfertigt. Die Geschichten in diesem Buch werden uns vom Autor in der Ich-Form erzählt. So sehr dieses Buch auch ein Roman ist, uns also in Geschichten entführt, die sich zumindest nicht eins zu eins so ereignet haben, so sehr spürt man doch beim Lesen das, was Jan Weiler in seinem Vorwort schreibt: »Es ist ein Roman über die Wirklichkeit (…)«.

Das Buch beginnt (wie sonst sollte ein Deutscher Aufnahme in eine italienische Sippe finden) vor der Tür des potentiellen Schwiegervaters seiner Angebeteten. Mit Blumen bewaffnet und bar jeder Vorstellung von dem, was ihn auf den folgenden über 260 Seiten erwartet, klopft er an die Tür eines Reihenhauses am Niederrhein. Der Papa jener Familie, in die er einzuheiraten gedenkt, gehört zur ersten »Gastarbeiter«-Generation, wie die Hunderttausende von Menschen, die Anfang der 60er Jahre in die Bundesrepublik zur (Hilfs-)Arbeit angeworben wurden, so merkwürdig verharmlosend-ablehnend genannt wurden. Im Moment, in dem unser »Held« die Schwelle des Hauses der Familie Marcipane überschritten hat, ändert sich viel für ihn. Er durchlebt auf den folgenden Seiten nicht mehr und nicht weniger als eine Transformation vom »Fremden« zum »Schwiegersohn«, oder wie sein Schwiegervater Antonio (wie sollte er auch sonst heißen!) ausruft: »Meine Sohn, ich habe eine Sohn! Wirste du sehen, du haste einhe neue Vater. Dasse muss gefeierte werde. Ursula, habbe wir Spumante?«

Klar, dass nach der Hochzeit die nicht kleine Zahl von Verwandten in Süditalien besucht werden muss. Und hier vollzieht sich dann vollends die Eingemeindung des deutschen Schwiegersohnes in eine ihm fremde Kultur. Diese Kultur lernt er ebenso schnell lieben, wie er einzelne aber unverzichtbare Teile davon fürchtet. Vor allem, wenn ihm die Fürsorglichkeit der italienischen Mama in Bezug auf ausreichende Ernährung zuteil wird:
»Möchtest du noch von dem Schinken?«
»Nein danke. Ich bin satt.«
»Es schmeckt dir nicht.«
»Doch, doch, es war toll, aber ich kann nicht mehr. Wirklich.«
»Maria, ihm schmeckt´s nicht.«
»Doch, doch, es schmeckt vorzüglich.«
»Na, danniss doch noch was.«
«Gut, ich, äh, esse vielleicht noch etwas Käse.«
»Na also. Und eine bistecca?«
»Um Himmels willen, nein danke. Ich kann nicht mehr.«
»schmeckt´s nicht?« (…)

So realitätstauglich dieser Dialog ist, so schön diese nicht wenigen witzigen Erlebnisse auch erzählt werden, so wenig lässt es Jan Weiler damit bewenden. Sein Buch handelt nicht nur von den für helles Auflachen und Schenkelklopfen geeigneten Momenten des italienisch-deutschen Verhältnisses. In einem Kapitel reist der »liebe Jung« mit seinem Schwiegerpapa Antonio allein nach Italia. Dort erzählt ihm Antonio die Geschichte seines Lebens, von den Bubenstreichen in Campobasso, der Fremdheit als Sproß eines zugereisten Sizilianers, seiner Sehnsucht nach Amerika, die ihn allerdings statt nach New York lediglich bis an den Niederrhein führte. Und dieses Kapitel ist es, das aus der Sammlung schöner, lustiger, herzlicher und teilweise skurriler Geschichten ein Buch macht, das mehr ist, als die flott geschriebene Befriedigung deutscher Sicht auf italienische Marotten oder sentimentaler italienischer Selbstbeschreibung des Lebens in der Emigration.

Jan Weiler war von 2000 — 2005 Chefredakteur des Magazins der »Süddeutschen Zeitung«. Seine Frau ist tatsächlich Italienerin. Mit ihr und zwei Kindern lebt er heute als freier Schriftsteller in der Nähe von München, der sicherlich italienischsten Stadt Deutschlands. Ob sein Schwiegerpapa Antonio heißt, wissen wir nicht — das ist aber auch nicht so wichtig. Dieses Buch ist eine Wohltat in jeder Beziehung. Zunächst einmal ist dies ganz körperlich gemeint: Die Lektüre ist Intensivtraining für das Zwerchfell. Es sollte nicht im Bett gelesen werden — zumindest dann nicht, wenn der Partner oder die Partnerin schon zu schlafen gedenkt. Sie werden ihn oder sie ständig durch lautes Gewiehere wecken. Zum anderen sind die Geschichten eine sprachliche Wohltat, weil sie flüssig geschrieben aber beileibe nicht banal sind. Und schließich tut das Buch auch deswegen gut, weil es ganz grundsätzlich Lust macht, weiterzulesen.


Genre: Humor und Satire
Illustrated by Ullstein Berlin