Eugen Egner ist ein Multitalent. Er hat sich als Zeichner einen Namen gemacht, er tritt als Gitarrist auf und schreibt Romane und Geschichten. Bislang war es der Lesergemeinde des Medienkaufhauses Zweitausendeins vorbehalten, seine Werke zu goutieren. Jetzt meldet sich Egner in der Edition Phantasia mit Erzählungen unter dem Titel »Schmutz« zu Wort. Wie beim letzten Band sind es neun Geschichten, die der Autor versammelt. Es sind Erzählungen, die im Alltag meist männlicher Protagonisten spielen und sich plötzlich und unerwartet ins Absurde und Grausige bewegen.
Da fühlt sich Martin, der mit seiner neuen Flamme Nora die erste Nacht verbringt, von rätselhaften Gegenständen verfolgt, die »Gemütsbrand« verursachen. In »Schnee« glaubt sich ein älterer Herr von seinem Nachbarn bedroht, den er für einen Yeti, einen abscheulichen Schneemenschen, hält. Sein Sohn will helfen und hört in der Nacht, als leise Schnee fällt, seltsame Geräusche vor dem Haus. Er tritt ins Freie, und sein Leben verändert sich schlagartig. In »Sichtbarmachung« versucht ein Zeichner, Bilder zu Papier zu bringen, die sein Auftraggeber in einer Art Privatvorführung in einem alten Fernsehgerät gesehen haben will. Dieser seltsame Auftraggeber landet im Zuge der Arbeit, seines Verstandes restlos beraubt, auf einer Müllkippe.
Es sind Elemente von Verfall, Untergang und Dreck, die Egner zu eigenem Leben erwachen lässt. In seiner Titelstory »Schmutz« versinkt ein junger Mann in Abwesenheit seiner Frau im Unrat. Plötzlich pocht eine Gestalt aus seiner Vergangenheit an seine Tür, und er trifft seinen längst verstorbenen Vater, der in einer seltsamen Halbwelt haust. Traum und Wirklichkeit beginnen, sich zu mischen.
Der umfangreichste und mit Abstand literarisch stärkste Text der Sammlung heißt »Schulfest«. Ein Buchillustrator, dessen Leben sich nach einer Trennung aufzulösen beginnt, besucht einen Bahnhof, der ebenfalls im Verfall begriffen ist. Ein Junge lockt ihn zu einem auf einem Abstellgleis stehenden Geisterzug, der sich darauf in Bewegung setzt. Dort lernt er den einzigen Fahrgast kennen, der ihn erwartet zu haben scheint und ihn auf der Stelle als Zeichenlehrer für seine Schule einstellt. Diese Bildungseinrichtung entpuppt sich als Geisterhaus. Lediglich eine Handvoll Schüler wird unterrichtet, und es gibt außer dem Schulleiter, seiner schrecklichen Sekretärin und dem neu eingestellten Lehrer nur einen einzigen Pädagogen, der aber völlig verwirrt ist. Immer tiefer gerät der Zeichenlehrer in den Sog der geheimnisvollen Schule, die sich angeblich auf ein großes Schulfest vorbereitet. Bald ahnt der frisch gebackene Lehrer, dass auch hier sich alles um ihn herum aufzulösen beginnt … »Schulfest« ist der heimliche Höhepunkt der Sammlung und hat kafkaeske Dimensionen.
Bereits mit seinem letzten Buch »Nach Hause« vollzog Egner eine Wendung ins Makaber-Phantastische, die er jetzt mit »Schmutz« konsequent fortsetzt. Seine Geschichten sind zwar durchaus ähnlich gebaut, doch es gelingt ihm stets, seinem Helden, und damit dem Leser, den Boden unter den Füßen zu entziehen und ihn zu verwirren.
Egners Texte verstören den Leser. Er stürzt ihn in eine gewisse Ratlosigkeit über die Hintergründigkeit einer Welt, in der vieles nicht so ist wie es scheint. Wie in einem Albtraum bewegen sich seine Protagonisten durch ein Labyrinth undurchsichtiger Verhältnisse und sind anonymen Mächten ausgeliefert. Verflucht doppelbödige Texte!