Ein disparater Stoff
Nicht erst seit Kehlmanns Geschichte über Humboldt und Gauß ist das fiktive Zusammentreffen zweier grundverschiedener historischer Gestalten ein literarisch reizvolles Genre geworden, und so lässt auch Markus Orths in seinem neuen Roman «Picknick im Dunkeln» Stan Laurel und Thomas von Aquin aufeinander treffen. Und dass, obwohl zwischen dem Tod des Filmkomikers und dem des Heiligen mehr als siebenhundert Jahre liegen. Eine Begegnung der besonderen Art also, die nur in jenem zeitlosen Zwischenreich stattfinden kann, welches Tod und Ewigkeit voneinander trennt.
«Diese Dunkelheit, diese alles verschlingende, vollkommene Dunkelheit: Wohin er sich wandte, Stanley sah nichts» heißt es zu Beginn. Er sieht nichts, auf sein Rufen meldet sich niemand, und so beginnt er seine Umgebung abzutasten Aber er findet nur glatte Wände, scheinbar ist er in einem Tunnel, der ja irgendwo einen Ausgang haben müsste, wie er glaubt. Also beginnt er, langsam in eine Richtung loszulaufen. Und trifft nach einer Weile überraschend auf einen anderen Menschen, der da am Boden hockt und ihm zunächst nicht antwortet, als er ihn anspricht. Nach und nach stellt sich heraus, dass er auf Thomas von Aquin gestoßen ist, einer der einflussreichsten Philosophen des Mittelalters und der bedeutendste katholische Theologe überhaupt. Was folgt ist eine zuweilen amüsante, zuweilen aber auch philosophisch anspruchsvolle Unterhaltung der beiden Männer, die ungleicher kaum sein könnten. Hier der Spaßmacher des Films, zu seiner Zeit weltberühmt für seine wenig geistreiche, slapstickartige Komik, mit der er seinen Zuschauern im Dunkel des Kinos eine sorgenfreie Stunde beschert, um sie, wenigstens für kurze Zeit, den schnöden Alltag und ihre Sorgen vergessen zu lassen. Und auf der anderen Seite der strenge Theologe, dessen Denken sich auf Aristoteles stützte, ein Scholastiker, der ein umfangreiches Werk hinterlassen hat, ein reiner Geistesmensch, der allem Weltlichen entsagt hatte als Dominikaner.
In fünfzig Kapiteln entwickelt Markus Orths in seiner Jenseitsreise den Gedanken-Austausch der ungleichen Männer, die sich zunächst schwer tun, sich in das Leben des jeweils anderen hineinzufinden, was allein schon der riesige Zeitunterschied mit sich bringt. Abwechselnd wird in Rückblenden aus dem Leben der Beiden berichtet, die sich allmählich näher kommen, die sich im Gespräch, so gut es geht, mit der Vita des jeweils anderen vertraut machen. Natürlich kommt es zu Disputen, die auf größtmöglichen Spaß ausgerichtete Lebensweise von Stan Laurel, seine nur auf das Lachen abzielenden Bemühungen stehen der mönchischen Glaubens-Strenge des Heiligen diametral entgegen. Gleichwohl versuchen beide, einander zu verstehen. Es geht letztendlich um Sinnfragen, die von ihnen ganz unterschiedlich beantwortet werden, und um den Tod natürlich, den beide, sie ahnen das allmählich, ja bereits hinter sich haben. Und so bemühen sie sich, einander Halt zu geben in dieser mysteriösen Umgebung physischen und meta-physischen Dunkels, und eine Bande zu knüpfen über die trennenden Jahrhunderte hinweg, – sie kommen sich tatsächlich immer näher.
Markus Orths breitet sein philosophisches Gedanken-Experiment in einer angenehm lesbaren Sprache ohne Fachchinesisch vor den Lesern aus, seine gedanklichen Expeditionen in die Welt der großen Denker sind leicht nachvollziehbar. Er legt damit auch so manche Fährte für eigene Reflektionen über letzte Wahrheiten, die man ja so gern verdrängt, was die Lektüre über das rein Unterhaltende hinaus bereichernd macht. Über alldem liegt aber störend der Eindruck, dass hier ein disparater Stoff gewaltsam in ein literarisches Korsett gezwungen wurde, was besonders bei den oft holprigen Dialogen ziemlich deutlich wird. Wenig überzeugend sind zudem die artistischen Übungen der beiden Figuren im völligen Dunkel, die in einem ebenso misslungenen Finale münden. Diese Ambivalenz zwischen Erzählstoff und literarischer Umsetzung schmälert den Lesegenuss!
Fazit: lesenswert
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