Als der berühmte Schriftsteller und Poet Rainer Maria Rilke im Oktober 1907 in Paris weilte, fand ebendort eine Gedächtnisausstellung zu Ehren des ein Jahr zuvor verstorbenen Malers Paul Cézanne statt. Diese Ausstellung umfasste 49 Gemälde und sieben Aquarelle und begründete Cézannes Ruf als Vater der modernen Malerei und trug seinen Ruhm in die Welt, post mortem oder wie man halt so sagt. Rilke besuchte die Ausstellung mehrmals und schrieb über seine Eindrücke eine Serie von Briefen an seine Frau, die Bildhauerin Clara Rilke Westhoff. Diese Briefe gehören zu den wohl bedeutendsten Zeugnissen einer frühen Rezeption des Werks von Cézanne durch einen Dichter, der es vermag, seine Gedanken auch vom Werk des Malers inspirieren zu lassen. Rilkes Briefe enthalten zum einen erstaunliche künstlerische Einsichten und gehen inhaltlich weit über die klassische Kunstkritik hinaus, da sie auch viele persönliche Seiten des Dichters zeigen.
Briefe Rilkes über Cezanne
Rilke macht sich in einem Brief – viele davon werden übrigens auch mit der Originalhandschrift Rilkes als Faksimile abgedruckt – auch Gedanken über die künstlerische Arbeitsweise und das Arbeiten an sich. So schreibt er über Rodin und Van Gogh, dass der eine oder andere vielleicht die Fassung verlieren konnte, aber die Arbeit wäre noch hinter der Fassung gewesen, aus ihr hätte man nicht herausfallen können. „Es ist lauter Freude; es ist das natürliche Wohlsein in diesem Einen, an das nichts anderes heranreicht.“ Rilke sieht auch die Verkäufer am Seine-Ufer, die scheinbar nie ein Geschäft machen, „aber man sieht hinein und sie sitzen und lesen, unbesorgt, sorgen nicht um morgen, ängstigen sich nicht um ein Gelingen, haben einen Hunde, ver vor Ihnen sitzt, gut aufgelegt, oder eine Katze, die die Stille um sie noch größer macht, indem sie die Bücherreihen entlang streicht, als wischte sie die Namen von den Rücken“. Welch’ wunderbare Gedanken dieser Rilke doch formulieren kann, über scheinbare Nebensächlichkeiten, die doch den Reiz des Ganzen ausmachen!
Weiße Schwäne und schwarze Damen
„Leda“ heißt eines der hier abgedruckten Gemälde Cézannes und zeigt, wie der Schwan ihr in die ausgestreckte Hand beißt. Ihr Blick ist dabei so teilnahmslos, wie willig, denn sie nimmt es hin, was ihr beschert ist, ihre Brüste ebenso entblößt, wie ihre Gedanken. „La Dame en noir“ heißt ein anderes Gemälde aus den Jahren 1891/92 und ihr Blick ist melancholisch, ihr Kleid schwarz, aber die Blumen an der Wand und der Kirschbaum im Hintergrund zaubern einen Schatten auf ihre roten Bäckchen und gefalteten Hände. Auch Alte (Vieillards) porträtiert Cézanne und Rilke findet in seinen Briefen treffende Worte zum Werk Cézannes wie zum Leben zwischen Paris, Prag und Venedig. Der vorliegende, reich bebilderte Band führt erstmals und in höchster Druckqualität alle Werke Cézannes zusammen, die 1907 im Salon d’Automne zu sehen waren. Ihnen gegenübergestellt werden Rilkes Briefe, wodurch sich ein Zusammenhang zwischen bildender Kunst und ihrem Einfluss auf den Dichter herauskristallisiert. Zusätzlich wurden auch Einschätzungen und Zeugnisse bedeutender Zeitgenossen hinzugefügt, sodass die Publikation zu einem reich bebilderten, einzigartigen Gipfeltreffen zwischen einem der bedeutendsten Maler und einem der wichtigsten Dichter an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gerät.
Lothar Schirmer
Paul Cézanne Ausstellung Paris 1907. Rainer Maria Rilke
Rekonstruktion der Cézanne-Ausstellung im Grand Palais, …besucht, betrachtet und beschrieben von Rainer Maria Rilke, zusammengestellt und eingeleitet von Bettina Kaufmann, hrsg. von Lothar Schirmer.
200 Seiten, 69 farbige Abb. Format: 20 x 26 cm, gebunden.
Deutsche Ausgabe.
Schirmer/Mosel Verlag
ISBN: 9783829608213
39.80€