130 Jahre Maria Lazar. 2025 wird der 130. Geburtstag von Maria Lazar (1895-1948) gefeiert. Die österreichische Journalistin, Schriftstellerin und Übersetzerin zahlreicher Romane erlebt dieser Tage aber schon eine Renaissance. Der Wiener Verlag “Das vergessene Buch” veröffentlicht erstmals den bislang nur in einer gekürzten englischen Exilausgabe erschienenen Roman “Leben verboten!” und das Wiener Akademietheater hat eine Bühnenfassung ihres Romans “Die Eingeborenen von Maria Blut“ in seinem Programm.
130 Jahre Maria Lazar: Vom Familienroman zum Politikum
Die Ausgabe “Leben verboten!” Stellt sogar die zum ersten Mal veröffentlichte deutsche Erstausgabe des Romans in der Originalfassung von 1932 dar. Das mag verwundern, verkehrte Maria Lazar doch durchwegs mit der Prominenz ihrer Tage, darunter Elias Canetti, Hermann Broch, Ernst Fischer u.a. Sie war außerdem mit Friedrich Strindberg verheiratet und wurde von Oskar Kokoschka in dem Gemälde “Dame mit Papagei” (1916) verewigt. Sie kannte Helene Weigel und legte sich auch mit deren Mann, Bert Brecht (siehe Peter Weiss’ “Ästhetik des Widerstands”), an. Ihre Schwester Auguste war eine bedeutende Kinder- und Jugendbuchautorin. Mit 1920 verfasste Maria Lazar ihren ersten 150-seitigen Roman, der 2020 ebenfalls beim Wiener Verlag “Das vergessene Buch” mit einem Nachwort des Wiener Universitätsprofessors Johann Sonnleitner erschienen ist. Dieser bezeichnet “Die Vergiftung” als Zeugnis einer untragbaren Familiensituation aus der Sicht des zwanzigjährigen Mädchens Ruth, das nicht unbedingt autobiographisch gelesen werden müsse. Die Autorin – zur Zeit des Schreibens ihres Romanerstlings selbst erst fünfundzwanzig – habe sich mit ihrer Mutter nämlich durchaus gut verstanden, ganz anders als die Protagonistin Ruth. Diese hat einen älteren Bruder Richard und eine Schwester Martha, die das Leben in dieser Familie, das als Kerker erfahren wird, unterschiedlich meistern.
Gutbürgerliche Familie und Doppelmoral
Aber auch die Mutter selbst ist trotz der gutbürgerlichen Fassade nicht ganz ohne Makel, pflegt sie doch ein Verhältnis mit einem Liebhaber. Das Familienleben ist geprägt von Statusdenken, Standesdünkel und -allüren sowie einer alles beherrschenden Doppelmoral. Zudem unterdrückt auch Martha, die als Lehrerin arbeitet, ihre artistische Ader zugunsten einer finanziellen Verbindung mit einem ungeliebten Mann – ein Schicksal das auch ihre Mutter hatte und nun ebenso Ruth droht. “Alle Mitglieder der Familie leiden an einem selbstverschuldeten Unglück, indem sie allesamt ihr eigentliches Leben verfehlen, das dem gesellschaftlichen Prestige und Status opfern”, schreibt Sonnleitner in seinem lesenswerten Nachwort, das auch die Biographie und anderen Werke Lazars zum Inhalt hat.
Vom Kosmopolitismus zum Nationalismus
Anders als das sehr expressionistisch geprägte Debüt Lazars wird in “Leben verboten!” ein vollständiger abenteuerlicher Plot angeboten, wie man ihn schon aus “Die Eingeborenen von Maria Blut” (1932) kennt. Der Berliner Bankier Ufermann, der ungeliebte zweite Sohn, ist auch in seiner Firma nur der zweite und wird von seinem Kompagnon ausgebootet. Als Ufermann sein Flugzeug versäumt und dieses sodann abstürzt halten ihn alle für tot und seine Frau kassiert einen Millionenbetrag seiner Lebensversicherung. Anfangs ist sich Ufermann unschlüssig, ob er das Missverständnis überhaupt aufdecken soll und übernimmt einen halbseidenen, wohl illegalen Auftrag zur Übermittlung eines Umschlags von Berlin nach Wien. In Wien angekommen verliebt sich die Tochter seiner Zimmerherrin in ihn und er baut sich Stück für Stück eine zweite Identität auf. Das für die Zwischenkriegszeit so typische transitorische Identitätskonstrukt, das schon von anderen Autoren so trefflich beschrieben wurde, kann auch als Parabel auf die politischen Krisen der frühen 30er Jahre in Österreich verstanden werden.
Seismographische Analyse der Zwischenkriegsgesellschaft in Österreich
Der Vielvölkerstaat, der nach dem Ersten Weltkrieg in mehrere Nationen zerfiel, hinterließ bestenfalls Identitätshybride, denn so einfach ließ sich die Seele eines Mitteleuropäers nicht auf seine nationale Identität reduzieren. An dieser Stelle sei auch auf das berühmte Robert Musil Zitat über die neun (!) Identitäten eines “Österreichers” verwiesen. In einem geschickt arrangierten Verwirrspiel thematisiert Maria Lazar in “Leben verboten!” den zunehmenden Hass auf Andersartige oder Fremde und die nationale Verhetzung der Zwischenkriegszeit, die ihr Ventil in einem schamlos ausgelebten Antisemitismus fand, sich aber durchwegs gegen alle richtete, die nicht stramm alpenländisch oder patriotisch waren. Aus dem Hochmut gegenüber Bettlern und Arbeitslosen wird schnell ein Hass auf Ausgesteuerte und Kriegsinvalide oder andere Verlierer des großen “Vaterländischen Krieges”. Österreichertum wird nunmehr klerikal, katholisch und kulturell und nicht mehr kosmopolitisch (also: über das Nationale hinausgehend) definiert.
Empfehlung einer Vergessenen
Maria Lazars Romane registrierten seismographisch genau jene Veränderungen in der österreichischen Gesellschaft der Zwischenkriegszeit, die das Land alsbald zu einem willfährigen und willkommen “ersten Opfer” Hitlerdeutschlands machten. Aber als die deutsche Wehrmacht das Land überfiel, befand sich bereits die gesamte gesellschaftliche und kulturelle Opposition im Anhaltelager. Eine Wiederentdeckung der Autorin und ihrer Werke wird dringend empfohlen.
Verlag das vergessene buch
Akademietheater Die Eingeborenen von Maria Blut