Wer von Sonetten spricht, der denkt an Shakespeare. Seine Klanggedichte mit jeweils 14 Zeilen in fester Metrik erschienen erstmals 1609, also vor mehr als 400 Jahren.
William Shakespeare, über dessen wahre Identität sich die Forschung leidenschaftlich streitet, gilt als der König des Sonetts »in jambischen Pentameter mit weiblicher oder männlicher Kadenz«, um es literaturwissenschaftlich exakt auszudrücken. Der Dichter des elisabethanischen Zeitalters hat 154 dieser fragilen Blüten erschaffen und damit einen Höhepunkt der englischen Renaissance und ihrer Widerspiegelung in Literatur und Dramatik inszeniert.
Shakespeare wendet sich an einen »fair boy« und eine »dark lady« als scheinbar homoerotische Geliebte. Er appelliert an den jungen Mann, einen schönen Nachkommen zu erzeugen, um damit unsterblich zu werden. (»Im Vers zwingst du die Sterblichkeit. / Solang ein Mensch noch atmet, Augen sehn, / Solang dies steht, solang wirst du bestehn.«) Er spricht über das Altern, die Eifersucht, das Alleinsein, die Furcht vor Liebesverlust, aber auch über Tod, Tugend, Redlichkeit und die Dummheit der Welt.
Mit Shakespeares Sonetten verbindet mich eine persönliche Leidenschaft. Die Texte wurden nämlich unter anderem von Martin Flörchinger ins Deutsche übertragen. DDR-Nationalpreisträger Flörchinger spielte unter Langhoff ab 1953 im »Deutschen Theater« und ab 1956 im BE. Seine Übertragung der als unübersetzbar geltenden Sonette Shakespeares durfte ich betreuen und herausgeben. Sein Buch unter dem Titel »Und Narren urteil\’n über echtes Können« ist leider nur noch antiquarisch erhältlich.
Umso erfreulicher ist es, dass sich der promovierte Germanist Eberhard Kleinschmidt dem Gedicht nach klassischem Vorbild angenommen hat. Seine »Stationen« genannten 154 Sonette behandeln ebenso wie bei Altmeister Shakespeare den Themenkomplex Freundschaft und Liebe.
Der Autor versucht, die bei Shakespeare abgebildete Geschichte »neu-gewandet« als neues »Beispiel für des Lebens Spiel« (Prolog) »dem Vorbild nah, bald fern, bald von ihm abgekehrt« (Epilog) nachzuzeichnen. In Form einer Art Visionssuche (Aufstieg auf den Berg, Verweilen, Abstieg) ist das lyrische Ich der Dichter-Figur auf der Suche nach sich selbst und seiner Freundschafts- und Liebesbeziehung.
Kleinschmidt reflektiert in seiner Lyrik das eigene Sein und sein fortwährendes Tasten, Suchen, Spüren und Finden. Seine Verse sprechen vom Wandel der Gestalten, vom immerwährenden Kampf um das Entfachen von Liebe, Zuneigung und Nähe. Der Dichter begreift das Leben als wechselhaftes Spiel, das ihn mit seinen sowohl ernsten wie heiteren Seiten immer wieder neu gefangen nimmt. So nähert er sich gedanklich dem Vorbild Shakespeare und schließt den Bogen.
»Stationen« ist ein filigran gewirktes Werk, das gefangen nehmen kann, so man sich darauf einlässt.