Man kann auch in die Höhe fallen. “Danke, Mama, ich glaube es wird besser.” Joachim Meyerhoff aus Schleswig hat als Schauspieler unter anderem am Burgtheater in Wien, am Schauspielhaus in Hamburg, an der Berliner Schaubühne und den Münchner Kammerspielen gespielt. 2011 begann er mit der Veröffentlichung seines mehrteiligen Zyklus “Alle Toten fliegen hoch” von der er mit “Man kann auch in die Höhe fallen” den sechsten Teil vorlegt.
Auszeit von Beruf und Familie
Seine 86-jährige Mutter bildet die erzählerische Klammer für diesen autofiktionalen/autobiografischen Roman, der sich der Literaturkategorie “grotesker Humor” zuordnen lässt. Oder wie es Meyerhoff selbst schreibt, der Anekdote, die “von allen literarischen Spielarten am meisten missachtete“, so Meyerhoff. Die wichtigste Eigenschaft der Anekdote sei, dass sie treffend ist, schreibt er, denn ob lang oder kurz, witzig oder scharfsinnig, es sei nicht so ganz klar, was sie außerdem noch alles auszeichnet. Meyerhoff bezeichnet die Anekdote auch als “eine winzige Quelle, aus der ununterbrochen, seit Anbeginn der Zeit, das klarste Wasser sprudelt. Müde und ausgelaugt vom Besteigen literarischer Achttausender kann man sich hier erfrischen und kurz verweilen“.
Landflucht aus Berlin
Dass für ihn als Schauspieler das Theater eine unerschöpfliche und vor allem verlässlicher Anekdotenlieferant ist, braucht nicht extra hinzugefügt werden. Amüsant sind seine Geschichten allemal und anfangs jagt wirklich eine Pointe die andere, bis der Autor zwischendurch auch mal nachdenklich wird. Nach einem Schlaganfall hat er sich auf das “Anwesen” seiner Mutter in Schleswig zurückgezogen. Einerseits, weil er sie viel zu wenig sieht und noch etwa genießen möchte, andererseits auch weil er seiner eigenen Familie entfliehen möchte. Bei der Geburtstagsfeier seines Sohnes ist er ausgerastet und schämt sich dafür so sehr, dass er einfach flüchtet. Natürlich möchte er seine Auszeit auch dafür nützen einen neuen Roman zu schreiben, doch erst muss er für seine Mutter im Garten einspringen. Denkt er.
Von der Idylle zur Tristesse
Tatsächlich ist die 86-jährige Susanne, seine Mutter, teilweise noch rüstiger als er und vor allem resilienter. Für sie beginnt jeder Tag von neuem, weil jeder der letzte sein könnte. So vermutet Meyerhoff, dass dies auch ihr Erfolgsgeheimnis sein dürfte: “Alles immer von vorne, jeden Tag aufs Neue von vorne zu beginnen, war für sie zu einer unantastbaren Selbstverständlichkeit geworden. Ich begriff, dass das neben der nie versiegenden Emsigkeit der Schlüssel ihrer Widerstandskraft war. Auch war ihre völlige Unfähigkeit zu jammern ein wahrer Lebensquell.” Der 30 Jahre jüngere Sohn lernte nicht nur die Gartenarbeit von seiner Mutter, sondern auch, was das Leben wirklich lebenswert macht: von den Menschen umgeben zu sein, die einen lieben. Als seine Mutter mit einem Mann nach Marokko auf Urlaub fliegt, wird dem Erzähler die Einsicht bewusst, dass ohne sie alles nichts ist und selbst der Garten vom Kummer ob der Abwesenheit der Mutter erfüllt schien.
Mutter statt Scham und Bühne
Sie hatte das Haus, den Garten und selbst das Mähfahrzeug mit Leben erfüll, was ihm, ihrem Sohn nicht gelang. Die Bewusstwerdung der Endlichkeit seines und ihres Lebens schüttelt den Erzähler so richtig durch, bis er bemerkt, dass selbst die Nacktschnecken sich in der Abwesenheit seiner Mutter bedrohlich näher ans Haus heranarbeiteten. Vielleicht liegt darin die Seligkeit des Lebens: im Handeln und Tun und nicht im Grübeln. Aus dem geplanten Roman mit dem Titel “Scham und Bühne” wird eine Geschichte über Leben und Tod, vor allem aber über die Dinge, die am Leben Spaß machen. Dazu gehört sicherlich auch der teilweise groteske Humor des Autors, der einen leichtfüßig wie eine Hummel durch diesen Roman voller Kindheitserinnerungen, Theaterschrullen und eben Anekdoten torkeln lässt. Witzig, unterhaltsam und voller spritziger Pointen, die wenn nicht wahr, doch sehr gut erfunden sind!
Joachim Meyerhoff
Man kann auch in die Höhe fallen
Roman
Alle Toten fliegen hoch, Band 6#
2024, gebundene Ausgabe, 368 Seiten
ISBN: 978-3-462-00699-5
Kiepenheuer&Witsch
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