Christian Kracht schildert in seinem Roman »Imperium« die Lebensgeschichte des deutschen Auswanderers August Karl Engelhardt (1875 bis 1919). Engelhardt gründete auf einer kleinen Insel im heutigen Papua-Neuguinea eine spirituelle Gemeinschaft, die er »Sonnenorden« nannte. Charakteristikum war die Ernährungsweise, die ausschließlich aus den auf der Insel reichlich wachsenden Kokosnüssen bestand.
Der Autor begleitet seinen Protagonisten auf dessen Reise in die Südsee, nachdem Engelhardt im wilhelminischen Deutschland als Anhänger des Vegetarismus und Nudismus wenig Sympathie fand und deshalb sein Heil in der Südsee zu finden hoffte. Dazu traf der Naturapostel in der damaligen Kolonie Deutsch-Neuguines im pazifischen Ozean auf die kolonialen Statthalter seiner Epoche, die dort sinnleer den großdeutschen Anspruch auf Kolonien manifestieren. Von einem dieser selbst ernannten Landnehmer erwarb er die Insel Kabakon, stellte die dort lebenden Ureinwohner als Pflücker und Arbeiter an, um gewaltige Mengen Kokosöl und andere Kokosprodukte herzustellen, für die es allerdings keinen Abnehmer gab.
Kracht beschreibt die freiwillige Robinsonade seines Helden mit viel Humor und deutlichem Augenzwinkern. Anfangs hielt ich die Geschichte für vollkommen fiktiv. Erst als der Kokos-Heilige auf den Naturmenschen, Wanderprediger, Liedermacher und Gedichteschreiber Gustav Nagel stößt, über den ich selbst geschrieben habe, dämmerte mir, dass dieser sonderbare Ritter der Kokosnuss tatsächlich gelebt haben muss. Eine kurze Recherche bestätigt das, und so lese ich die zweite Hälfte des Werkes als biografischen Roman, der sich mit einer durchaus satirischen Distanziertheit um den Protagonisten dreht.
Je verwirrter Engelhardt in seinem Kokos-Wahn wird und schlussendlich einen religiösen Appetit auf sich selbst entwickelt, so skurril die Konfrontationen mit seinen Jüngern wirken, die durch farbenprächtige Berichte in deutschen Reformzeitungen auf das Eiland gelockt werden, je kriegerischer und blutiger die Konflikte um den zusammenbrechenden Kolonialismus werden, desto faszinierter folgt der Leser dem Abenteuer Leben, dem sich Engelhardt entgegen wirft und will wissen, wie die Geschichte endet.
Krachts Personal ist durchsetzt von Sonderlingen und Exzentrikern, die sich gegenseitig an Skurrilität zu überbieten suchen. Die manieristische Stilistik des Autors ist gewöhnungsbedürftig und sicherlich nicht jedermanns Sache. Sie passt aber zu diesem Werk, in dem selbstverständlich auch die Südsee-Maler Emil Nolde und Max Pechstein auftreten.
Ein Buch für Freunde der biografischen Literatur mit Neigung zu Sonderlingen.
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