Die beiden Journalisten des Buches
Berlin in hundert Kapiteln, von denen leider nur dreizehn fertig wurden kennen sich vom Tagesspiegel, für den sie seit Jahrzehnten schreiben. Manche Kapitel haben sie gemeinsam geschrieben, einige allein. Es geht um ihre immer wieder getrübte Liebe zu Berlin, wo sie trotz alledem gerne leben. Und sie können manche offene Frage mit ihrem profunden Hintergrundwissen aufklären. Es ist pointiert geschrieben, eben mit Herz und Schnauze, wozu sie auch Einiges sagen.
Im ersten Kapitel stellen sie sich vor, warum sie wann nach Berlin gekommen sind, wie das war mit Ost und West, dass sie, als Westdeutsche in den Osten durften, aber wir Westberliner nicht, jedenfalls, wenn wir keine Verwandten „drüben“ hatten. Das ist Zeitgeschichte und für jüngere und Neuberliner kaum zu glauben.
Im zweiten Kapitel „Ins Scheitern verliebt“ wird die Schludrigkeit der Berliner Corona Maßnahmen am Beispiel der geschlossenen Spielplätze in Erinnerung gebracht. Aber das ist nur ein letzter Höhepunkt. Eigentlich beziehen sie sich auf einen Karl Scheffler, der 1910 das Buch „Berlin, Ein Stadtschicksal“ schrieb, wo er den Hang zum Scheitern dieser Stadt schon damals erkannte. Früher war eben doch nicht alles besser.
Das dritte Kapitel Die Bürgschaft hat den Untertitel „Eine leider unvollständige Beschreibung der jüngeren Berliner Skandalgeschichte und der Versuch, ein Handlungsmuster zu erkennen.“ Wir werden an viele Bestechungsfälle in der Berliner Baubranche erinnert. Wobei es bemerkenswert ist, wie die CDU, die wesentlich kürzer den Regierenden stellte, als die SPD, doch mit diesen fast gleichzog, was die krummen Dinger anbelangte (Das ist nicht von den Autoren, sondern eine Anmerkung der Rezensentin). Gewarnt werden wir vor den Grünen, die in Friedrichshain-Kreuzberg auch schon das auffällige „Handlungsmuster“ an den Tag legen.
Wir lernen von den Imagekampagnen, dem seit Langem immer wieder geforderten Mentalitätswechsel, bei wem denn nun, fragt man sich allerdings. Natürlich wird der Flughafen BER gewürdigt, und wir sehen, was aus der Untersuchung zum Radikalismus in der Polizeischule herausgekommen ist: Nichts. Auch das ist ein Handlungsmuster.
Recht liebevoll geht man mit den Eigenheiten der Bezirke um, denn früher, als Wohnungen noch zu haben waren, wurde mehr umgezogen, natürlich mit Zapf: dem Spediteur, dessen Betrieb in den Händen der Belegschaft war.
Immer wieder fließen die Außensichten auf Berlin ein, das ja gerne eine Weltstadt sein möchte, allerdings ohne deren Widrigkeiten. Im englischen Magazin Time Out wird der Wedding empfohlen, als Ort, der sich nicht so schnell verändert, wie andere Bezirke, „Berlin als Spielplatz für Menschen, die nicht erwachsen werden wollen.“ Ob Menschen, die nicht erwachsen werden wollen, sich die Miete noch leisten können, wenn sie sich verdreifacht haben wird?
Besonders gefiel der Vergleich von Herrn Martenstein zwischen einer Zeitungsredaktion in München, wo er ein Jahr lang gearbeitet hatte und dem Tagesspiegel: Wie würde man ein Versagen der Politik dem Leser nahebringen? In München wäre es tröstend, mit Hinweisen auf Schönes, den Viktualienmarkt etwa, oder die schönen Frauen. In Berlin wäre, wie schon Marlene Dietrich gesungen hat, der Beifall ehrlich, wenn jemand hinfällt.
Im dreizehnten und letzten Kapitel üben die Autoren Selbstkritik, fragen sich, ob sie zu kritisch waren und nehmen sich vor, ein Buch mit 100 Lobreden zu verfassen. Aber vielleicht reicht es ja, wenn sie einfach weiter ihren Job machen, für eine möglichst lange Zeit, erst in der Zeitung und, falls nötig, mit weiteren Kapiteln über die Stadt, die nicht fertig wird.