Leider nur absurdes Palaver
Ein Roman wie eine Wundertüte ist «Dagny oder Ein Fest der Liebe» des georgischen Schriftstellers Zurab Karumidze, geschrieben in Englisch, also nicht nur für Georgier, «sondern für die gesamte Welt», insbesondere die anglophone, wie er erklärt hat. Titelgebend ist Dagny Juel, norwegische Schriftstellerin, eine Femme fatale des Fin de Siècle, die in den Berliner Bohemekreisen um die Kneipe «Das schwarze Ferkel» verkehrte und Muse war von August Strindberg und dem Expressionisten Edward Munch, dem sie Modell gestanden hat für sein berühmtes Gemälde «Madonna». «Sie war ein Vorwand», hat der Autor im Interview gestanden, «ich bin einfach immer interessiert gewesen an interkulturellen Beziehungen. Daran, kulturelle Grenzen zu überschreiten», das Schicksal von Dagny Juel sei ihm vor zwölf Jahren lediglich Inspirationsquelle gewesen für sein Buch.
Denn seine zentrale Figur, die «nordischen Sphinx», deren reales Vorbild am 4. Juni 1901, drei Tage vor ihrem 34ten Geburtstag, von einem nicht erhörten Liebhaber in Tiflis erschossen wurde, fungiert im Roman allenfalls als loser Handlungsfaden, an dem entlang sich ein ebenso rätselhaftes wie virtuoses narratives Spiel um Georgiens Mythen rankt. Es ist von historischen Gestalten bevölkert wie auch von diversen märchenhaften Figuren der Volkssage, die der Autor in erzählerischer Allmacht und einer wahrhaft überbordenden Fantasie aufeinander treffen lässt in unzähligen Begegnungen und endlosen Disputen, wobei immer wieder aus dem Norwegischen übersetzte Gedichte der realen Dagny Juel eingestreut sind in den Text. Zu den bekanntesten Figuren im Roman zählt der griechisch-armenische Esoteriker Georges I. Gurdjieff, der Naturphilosoph, Schriftsteller und Repräsentant der georgischen Nationalbewegung Wascha-Pschawela, der naive Maler Niko Pirosmani, ein tibetanischer Schamane, ein Scheinderwisch. Sogar der junge Revolutionär Koba tritt auf, der unter seinem Kampfnamen Stalin später traurige Berühmtheit erlangen sollte. Breiten Raum nimmt auch das georgische Nationalepos mit dem schier unaussprechlichen Namen Wepchisstqaossani ein, «Der Recke im Tigerfell».
Und auch ein außerirdischer Rabe vom Planet Saturn mit Namen Ferdinand hält große Reden: «Ja, Gornachur Harharch IV hat das gemacht, unter Zuhilfenahme seines Linguo-Chronotopos Beschleunigers, um metamusikalische Vibrationen im Geist des Führers der Sieben zu erzeugen; dabei benutzte er deinen schamanischen Kontrapunkt als transformative Substanz und den vegetozoopoetischen Diskurs des Hochländers als Grundmaterial. Ein Effekt, der demjenigen ähnelt, den deine Alchimisten anstrebten, aber nie erreichten. Doch wie ich sagte, handelt es sich hier um Rohaskokin. Um das richtige, das reine zu erhalten, brauchen wir den Code des Vlieses, den Almsnoschinu-Code von El’Azar – Die Auferstehung. Und den werden wir bei der Himmlischen Agape gewinnen, wenn wir das Pantherfell transformieren mittels des voll ausgespielten schamanischen Kontrapunkts der Johannespassion». Alles klar soweit?
Derart irreal zu sein ist das wesentliche Merkmal dieses postmodernen, esoterischen Romans, bei dem viele historische Zitate und häufige intertextuelle Bezüge allenfalls den einschlägig vorinformierten Leser erfreuen dürften, andere aber zu ständigem Recherchieren zwingt. Wenn sie denn nicht einfach über das hinweg lesen wollen, was ihnen «böhmisch» vorkommt – und was zu Teil genau das auch ist. Also oft purer Nonsens, reine Phantasmagorien, der Autor hat in seinem ebenso absurden wie ironischen Spiel den kulturellen Eklektizismus hier wahrlich auf die Spitze getrieben. Seiner Protagonistin allerdings, dieser in manchem durchaus mit Lou Andreas-Salomé vergleichbare Muse, hat Zurab Karumidze hier eine derart unbedeutende Rolle zugewiesen, dass der Romantitel den hoffungsvollen Leser völlig ins Leere führt. Man muss wohl selbst Esoteriker sein, um Gefallen zu finden an dem über weite Strecken absurden Palaver in diesem surrealen Roman.
Fazit: mäßig
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