Drei Tage, drei Nächte

Literarische Nischenrolle

Aus dem umfangreichen Œuvre der hierzulande unbekannten, kanadischen Schriftstellerin Marie-Claire Blais liegt nun seit kurzem unter dem Titel «Drei Tage, drei Nächte» erstmals ein Roman in deutscher Übersetzung vor. Der in französischer Sprache geschriebene Band trägt im 1995 erschienenen Original den Titel «Soifs», was dem Sinn nach ‹durstig› bedeutet. Der deutsche Titel hingegen spielt auf die Erzähldauer dieses polyfonen Romans an, der das Chaos des Lebens im Verlauf dreier Tage zum Inhalt hat.

Auf einer tropischen Insel lebt ein buntes Völkchen verschiedenster Charaktere zwischen bitterer Armut und obszönem Reichtum. Gleich zu Beginn wird von Jacques erzählt, einem Professor der Literatur, der in palliativer Pflege dem Ende entgegendämmert und sich an verschiedene Ereignisse in seinem Leben erinnert. Dazu gehört vor allem auch seine letzte homosexuelle Affäre mit Tanjou, einem einheimischen jungen Mann, von dem er sich getrennt hat und der nun immer wieder tränenüberströmt an seinem Sterbebett erscheint. Eine weitere, häufig auftauchende Schlüsselfigur des Romans ist Renata, ehemals Frau eines Komponisten, die sich als Rechtsanwältin besonders für straffällige Jugendliche einsetzt. Sie ist mit einem Richter liiert und will sich auf der Insel von einer Operation erholen. Durch ihre schwere Erkrankung hat sich ihre latent vorhandene Lebensgier noch gesteigert, sie fühlt sich jünger als sie ist. Ihre Lebensfreude bezieht sie einzig aus dem Begehren der Männer, obwohl sie sich andererseits auch als kämpferische Feministin definiert. Zur Feier der Geburt des gerade zehn Tage alten Vincent geben dessen Eltern ein großes Fest, bei dem sein kleiner Bruder wie wild durch den geschmückten Garten rennt und der illustren Gästeschar laut schreiend verkündet: «Meine Mutter hat ihr Baby fertig!» Melanie, die glückliche Mutter, strebt scheinbar eine politische Karriere an, ihr Mann Daniel ist mit seinem neuen Roman beschäftigt. Zu Gast ist auch Julio, der bei der Flucht in die USA seine gesamte Familie verloren hat, das junge Paar kümmert sich seither rührend um ihn.

In einem 1995 schon deutlich auf den Jahrtausendwechsel hinzielenden, dystopischen Szenario werden die Risiken einer anhaltend unguten Entwicklung verdeutlicht. Gewalt, Macht, Rassismus, Missbrauch und Sexismus, aber auch unverhüllter Hedonismus, Lust und Begehren bestimmen das Geschehen. Das Figuren-Ensemble wird auch von Verrückten, Künstlern und Philanthropen bevölkert, Verbrecher, Dealer und Kleinkriminelle gehören ebenfalls dazu, jeder versucht sein Glück auf seine Weise. Soziale Ungerechtigkeit, Krankheit und Tod sind weitere Themenschwerpunkte, die Marie-Claire Blais mit ihrer scharfen Beobachtungsgabe anschaulich und in einer treffsicheren Sprache beschreibt.

Wie sie das tut ist zweifellos das Besondere an diesem apokalyptischen Roman, es handelt sich hier um eine absolut eigenständige, experimentelle Literatur. Stilistisch extrem eigensinnig, in einer konsequent durchgehaltenen, formalen Strenge, ist dabei letztendlich ein wahres Textungetüm entstanden. Völlig ungegliedert nämlich, ohne Kapitel oder Absätze vom ersten bis zum letzten Wort durchlaufend, werden über ganze Seiten hinweg reichende Sätze aneinander gereiht. In denen sich auch noch die Perspektiven manchmal kaum nachvollziehbar ändern, alles fließt ineinander. Das erfordert bei der Lektüre einen ebenso geduldigen wie aufmerksamen Leser. Es gibt zudem kaum so etwas wie Handlungsfäden, an denen diese monströsen Satzgebilde sich nachvollziehbar entlang hangeln könnten. Man ist quasi gezwungen, sich aus den sprunghaft vorgetragenen Textfragenten eine eigene Geschichte zusammenzureimen. Eine derart experimentelle Literatur jedoch ist allenfalls für eine elitäre Minderheit von Lesern goutierbar. Mit Fug und Recht lässt sich deshalb bezweifeln, dass dieses Buch an der literarischen Nischenrolle dieser kanadischen Schriftstellerin in Deutschland etwas wird ändern können.

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
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