Wiesbacher Sinfonie

Neue Facetten

Auch in ihrem jüngsten Buch «Wiesbacher Sinfonie» sind die Liebe und ihre Irrungen und Wirrungen wieder das Thema von Katia Bohlander-Sahner. Als literarische Gattung eine Erzählung in kürzerer Form, die nach der Goetheschen Definition vom unerhörten Ereignis der Novelle entspricht, also klar strukturiert eine signifikante, einmalige Abweichung von der Normalität thematisiert. Es geht um die zerstörerische Liebe zwischen zwei familiär gebundenen Menschen, was als Thema ja so neu nicht ist. Gelingt es der Autorin, diesem in jeder Hinsicht bis zum Überdruss abgearbeiteten Genre neue Facetten abzugewinnen?

Den thematischen Sätzen einer Sinfonie entsprechenden wird hier in vier Abschnitten eine Geschichte von zwei Ehepaaren erzählt, die sich beide nach langjährigen Ehen in einer Phase befinden, die man nur noch als Alltagsroutine bezeichnen kann. In der kaum noch eine schwache Glut erkennbar ist von dem, was einst große Liebe war. Man hat sich an ein Zusammenleben gewöhnt, in dem es kein erotisches Prickeln mehr gibt, das Bett ist eigentlich nur noch Schlafstatt und ganz selten auch mal Ort sexueller Begegnung. Die Geschichte beginnt damit, dass der Lehrer Klemens von der Schriftstellerin Paula gebeten wird, ihre Manuskripte zu lesen und zu beurteilen. Er fühlt sich geehrt und trifft sich mit ihr zu einem ersten Gespräch. Und wie das so ist im Leben, finden die Zwei Gefallen aneinander. Als er kurz darauf im Rahmen eines Schüleraustausch-Programms mit der Klasse nach Italien aufbricht, merkt Paula, dass sie regelrecht ‹liebeskrank› geworden ist. Sie reist ihm mit der Ausrede, zum Schreiben dringend eine Auszeit vom Alltagsstress zu brauchen, kurz entschlossen hinterher. Natürlich sprengt nun der erste Sex zwischen ihnen alle Dimensionen, sie verleben einige rauschhafte Nächte. Bis Klemens plötzlich auf der Strasse mit einem Schlaganfall zusammenbricht. Seine Frau Minka eilt nach Italien und stellt überrascht fest, dass die Schriftstellerin auch vor Ort ist und den im Koma liegenden Klemens am Krankenbett besuchen will.

Peinlich, peinlich, aber es hilft ja nichts, die Frauen reden schließlich ein offenes Wort miteinander, und Minka bleibt dabei überraschend ruhig. In einer selbstkritischen Rückblende erinnert sie sich nämlich an ihre sadomasochistische Eskapade vor einigen Jahren mit einem charismatischen Psychologen, dem sie vom ersten Augenkontakt an rettungslos verfallen war. Als er ihr nach mehr als einem Jahr wilder Ausschweifungen ankündigt, dass er bald heiraten werde, nimmt sie das relativ gelassen hin. Denn auch ihr ist ja klar, dass ihre perverse Beziehung nicht ewig dauern oder gar in eine Ehe münden kann, dass Sadomaso also auf längere Sicht nicht tragfähig sein würde als Lebensgrundlage. Ziemlich überraschend gelingt es der Autorin dieser ebenso verzwickten wie tragischen Geschichte, ein für alle versöhnliches Ende zu finden. Welches, das wird in einer spoilerfreien Rezension wie dieser hier natürlich nicht ausgeplaudert. Denn genau in diesem unerwarteten Ende liegt die Stärke dieser Novelle!

Zunächst aber ist sie mit ihrem vorhersehbaren Geschehen eher enttäuschend und bleibt auch nicht kitschfrei, es werden viele abgenutzte Klischees bedient. Im Stil eines typischen Pageturners wird vorwärts drängend in kurzen, einfachen Sätzen erzählt, die in vielen ebenfalls kurzen Kapiteln straff strukturiert sind und deren Überschriften mit ihrer voraus weisenden Funktion noch zusätzlich dem Lesefluss Vortrieb geben. Dem Trend der Zeit folgend wird auch hier der ökonomischen Maxime ‹sex sells› gehuldigt, Minkas Rückblende im «Dritten Satz» wird mit einem Hinweis auf den trivialen Erotik-Dreiteiler «Shades of Grey» eingeleitet. Was hier Liebe genannt wird, das ist nicht nur im perversen Teil der Story purer Sex, auch die heftige Liaison zwischen Klemens und Paula sprengt alle ihre sexuellen Erwartungen. Aber auch das sind natürlich keine jener neuen Facetten, von denen eingangs die Rede war!

Fazit: lesenswert

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Novelle
Illustrated by Edition Schaumberg

Vom Schwimmen in freien Gewässern

Wie das Leben halt so spielt

Der zweite Roman von Katia Bohlander-Sahner betont mit seinem auf dem Cover wunderbar treffend illustrierten Titel «Vom Schwimmen in freien Gewässern» auf das Uneingeengte hin, das einen richtigen See vom Schwimmbad unterscheidet. Diese Thematik ist hier angewandt auf die Geschichte eines Mannes, der nach einigen familiären Schicksals-Schlägen seine große Liebe trifft und damit plötzlich und unfreiwillig aus seinem bis dato eingeengten Alltagstrott gerissen wird. Als Neuerscheinung birgt dieser Roman einiges an Unterhaltungs-Potential und müsste eigentlich schon auf der Spiegel-Bestsellerliste stehen.

Rolf Naumann, 59jähriger, verwitweter Lehrer aus Hirzweiler, lernt eine faszinierende Studentin kennen, beide fühlen sich magisch zueinander hingezogen. Sie landen schon bald im Bett und erleben rauschhaften Sex. Elaine ist 25 Jahre jünger als er, und nach der ersten Nacht stellt er verwundert fest, dass er noch nicht mal ihren Nachnamen weiß. Sie gibt nur wenig von sich preis, ein Geheimnis umgibt sie. Rolf ist eher ein langweiliger Typ, der ein eintöniges Leben führt. Als beliebter Lehrer ist er zwar ortsbekannt, CDU-Mitglied, emsiger Gärtner, ehrenamtlicher Bademeister im örtlichen Schwimmbad und Mitglied der Wasserball-Mannschaft, familiär aber ist er sehr einsam. Sohn Jerome ist zum Entsetzen der Eltern als 16Jähriger einfach aus dem Elternhaus verschwunden und seither unauffindbar. Vor zwei Jahren hat Rolf dann seine Frau bei einem tragischen Verkehrsunfall verloren. Und auch Tochter Anni wohnt nicht mehr bei ihm, sie arbeitet in Paris und kommt selten zu Besuch.

Elaine wirbelt nun alles durcheinander, die ehemalige Hamburgerin lebt unter falschem Namen in einem Zeugenschutz-Programm, sie musste abrupt sämtliche Brücken hinter sich abbrechen. Rolf wird voll mit in die turbulenten und gefährlichen Ereignisse um Elaine hineingezogen. Sie muss, kaum dass sie sich kennengelernt haben, für zwei Monate wieder nach Hamburg zurück, um dort ihre Scheidung durchzufechten und dann auch als Kronzeugin im Mordprozess gegen eine osteuropäische Schlepperbande auszusagen. Man trachtet ihr nach dem Leben, sie wird in der Stadt vom Auto angefahren und soll auf Anraten der Polizei mit neuer Identität im Ausland erneut untertauchen. Jerome hat sich in Italien durchgeboxt und dort sein Glück gefunden. Er hat seinen Traumberuf als Schreiner ergriffen, ist inzwischen selbst Vater und arbeitet als Restaurator im eigenen Betrieb. Seine Geschichte ist sehr abenteuerlich, sie erinnert an ähnliche Ausreißer-Figuren in der Literatur, die unbeirrt, allem Widrigkeiten zum Trotz, ihrem unbändigen Freiheitsdrang gefolgt sind.

Mit einer angenehm lesbaren Sprache und in vielen stimmigen Dialogen werden in diesem Roman zwei Lebensgeschichten gegenübergestellt. Während der angepasste Normalbürger Rolf in ungeahnte Turbulenzen gerät und sein Leben nie für möglich gehaltene Wendungen nimmt, hat sich sein Sohn Jerome dem Diktat der Eltern für ein Akademikerleben durch Flucht entzogen und sein Schicksal selbst in die Hand genommen. Der genügsame Rolf ist der Getriebene, auf den die Dinge zulaufen, Jerome hingegen weiß, was er will, und erkämpft sich hartnäckig sein Glück. Der Leser erlebt eine facettenreich erzählte, manchmal fast schon zu vielschichtige Zeitreise, die durch ihre Realitätsnähe besticht. Die Figuren sind lebensecht und einfühlsam beschrieben, sie sind glaubwürdig, aber psychologisch nicht gerade tiefschürfend charakterisiert. Nach einem leider etwas zu süßlichen Happy End im Jahre 2019 eröffnet sich in den letzten beiden Kapiteln unter der Überschrift «In den folgenden Jahren» überraschend eine Zukunfts-Perspektive. Man stolpert zuerst über die Jahreszahl 2022, als in Hirzweiler Rolfs bester Freund und Helfer stirbt, und schaut dann auch in eine sogar noch fernere Zukunft, wo sich am Ende für die nunmehr fünfzigjährige Elaine unerwartet eine neue Liebe andeutet, – wie das Leben halt so spielt!

Fazit: erfreulich

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Edition Schaumberg