Das Beste von Laxness
Mit seiner Darstellung der Unterdrückung während der Dänen-Herrschaft in dem historischen Roman «Islandglocke» von 1943 wurde Halldór Laxness endgültig zum Nationaldichter. In seinen späteren Werken, zu denen auch «Das Fischkonzert» von 1957 gehört, steht die Sozialkritik des linksintellektuellen Autors nicht mehr so deutlich im Vordergrund. Vielmehr griff der auf seiner Insel tief verwurzelte Weltbürger, inzwischen mit dem Literatur-Nobelpreis geehrt, nun häufig menschliche Themen auf. Er stellte eine sehr spezifische, vom Taoismus geprägte Poesie in den Vordergrund seiner Prosa und thematisiert das «Vollkommene Sein» exemplarisch an seinen Romanfiguren.
Ich-Erzähler dieses Bildungsromans ist Alfgrimur, den seine Mutter in einem aus Grassoden erbauten Erdhaus des Seehasenfischers Björn geboren und dort zurückgelassen hat, um nach Amerika auszuwandern. Er bekam, wie alle vaterlosen isländischen Kinder, den Familiennamen Hansson. Der kleine Hof Brekkukot am Stadtrand von Reykjavik war «eine kostenlose Herberge für jeden, der davon Gebrauch machen wollte». An Großeltern statt ziehen der alte Björn und seine Frau den Jungen dort liebevoll auf. Ihr von einem hölzernen Drehkreuz, – durchaus nicht nur der Schafe wegen, sondern auch symbolisch -, von der Außenwelt abgetrennter, ärmlicher Hof wirkt wie die Enklave einer archaischen Lebensweise, während sich überall draußen schon die Vorboten des Frühkapitalismus deutlich bemerkbar machen. So verkauft der urchristlich gesinnte «Großvater» Björn zum Beispiel seine Fische unbeirrt auch dann zum selben Preis wie immer, wenn der Fang allgemein spärlich ausfällt und alle anderen Fischer profitorientiert, also «marktkonform», ihre Preise kräftig erhöhen. Diese überschaubare Idylle bildet das bodenständig enge Zentrum einer kargen Jugend seines Protagonisten, dem Laxness mit den skurrilen Bewohnern und Durchreisenden im gastfreien Hause, den wunderlichen Nachbarn und den kauzigen Einwohnern der – Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts noch kleinen Stadt Reykjavik, gekonnt eine vielköpfige, muntere Figurenschar zur Seite stellt.
Kontrapunktisch ist die groteske Geschichte des weltberühmten isländischen Sängers Gardar Holm in die Erzählung integriert, dessen Wege sich im Verlauf der Handlung zunehmend mit denen von Alfgrimur kreuzen. Aber während der Junge auf Druck der Großeltern äußerst erfolgreich die höhere Schule absolviert, – obwohl er doch eigentlich lieber Grauquappenfischer werden wollte -, um anschließend ein Studium zu beginnen, entpuppt sich der Sänger allmählich als Scharlatan, der alle getäuscht hat und am Ende kläglich scheitert. Der Aufstieg des einen spiegelt sich also im Abstieg des anderen, man ahnt das schon bald als Leser, die Beziehung der beiden ungleichen Protagonisten wird zudem intertextuell durch diverse Anspielungen auf «Erlkönig» und «Faust» verdeutlicht.
Geradezu einfältig wirkt die unbeholfene Sprache, in der das Geschehen fast schon lakonisch, aber durchaus passend zur engstirnigen Perspektive von Alfgrimur, in 41 Kapiteln erzählt wird, ergänzt um ein hilfreiches Nachwort des Übersetzers. Was da aber in schlichten Worten scheinbar naiv erzählt wird, erweist sich nicht nur als äußerst lebensklug und zutiefst menschlich, es ist ebenso tiefsinnig wie überraschend in seiner Denkart. Und alles Erzählte ist dazu noch mit einem köstlichen Humor gewürzt, der manchmal so urkomisch daherkommt für einen nicht-isländischen Leser des 21.Jahrhunderts, dass man laut auflachen muss. Die vielen schrägen Figuren dieses vielschichtigen Romans, der somit auch eine formidable Gesellschaftssatire ist, erweisen sich zumeist als gradlinig denkende, oft wortkarge Sympathieträger. Sie wirken durch ihr Scheitern schicksalhaft menschlich und verkörpern geradezu archetypisch die beklemmende Absurdität des Lebens ebenso wie die des Todes. Zweifellos zählt «Das Fischkonzert» thematisch wie stilistisch zu den besten Romanen aus der Feder von Haldor Laxness.
Fazit: erstklassig
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