Es darf gesudelt werden
Eine Arbeit liederlich und nachlässig, also schludrig auszuführen kann man auch als sudeln bezeichnen. Wer seine Tagebücher selbst als «Sudelbücher» bezeichnet, beweist damit Sinn für Humor und nimmt sich wohl auch selbst nicht so ernst. Georg Christoph Lichtenberg, der Mathematik, Astronomie und Naturgeschichte studierte und in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Professor für Mathematik in Göttingen war, ist der Protagonist dieses Romans. Er wird uns als ein quirliger Typ von universaler Bildung geschildert, der an Vielem interessiert war und ständig wissenschaftliche Forschungen betrieb. Seinen Nachruhm jedoch begründeten jene erst posthum veröffentlichten «Sudelbücher» mit zahllosen Notizen und den literarisch bedeutsamen Aphorismen, denen man noch heute immer wieder begegnet. «Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen, und es klingt hohl, ist das allemal im Buch?» wäre ein markantes Beispiel dafür, welches auch gut hierher passt. Lichtenberg war als unabhängiger Vertreter der Aufklärung ein scharfsinniger Beobachter, ein Freigeist mit feinem psychologischem Gespür, wie wir aus seinen satirischen Aufsätzen wissen.
Vieles ist «erstunken und erlogen» in diesem Buch, lässt uns Gert Hofmann im Vorwort wissen, und so ist denn auch der Plot seiner Geschichte frei erfunden, allerdings mit dem Anspruch, dass es durchaus so hätte sein können. Hofmanns Schreibstil, naiv und skurril gleichermaßen, an Märchen erinnernd, ja sogar pennälerhaft einfältig erscheinend, wirkt auf den Leser merkwürdig holzschnittartig, unelegant und uninspiriert. Ein Stilmittel, das wohl auf ein anderes Jahrhundert hinweisen soll oder auf die urkomische Figur, als die Lichtenberg in dem Roman unablässig geschildert wird, der als bunter Vogel durch Göttingen spaziert und fatal an die Märchenfigur des Rumpelstilzchens erinnert. Ein ewigkranker Hypochonder, durch Rachitis von Kindheit an buckelig und kleinwüchsig, ausgesprochen hässlich noch obendrein. So findet der professorale Protagonist denn auch lange nicht sein privates Glück, Frauen sind für ihn unerreichbar. Bis er als 35-Jähriger plötzlich auf das wunderschöne, 13-jährige Blumenmädchen Maria Dorothea Stechard trifft, im Roman die Stechardin genannt, die als Schülerin und Hausmamsell bei ihm einzieht und nicht lange darauf dann auch die Geliebte des Buckligen wird.
Eine ungewöhnliche Liebe, die sich da allmählich entwickelt zwischen den beiden so ungleichen Partnern, die schon bald nicht mehr nur sexuell miteinander verbunden sind, sondern die beide aufblühen vor Glück und als Mensch von einander profitieren. Das wissbegierige Mädchen von der Gelehrsamkeit des Professors, der lebensfremde Wissenschaftler von der Natürlichkeit des unverdorbenen Menschenkindes an seiner Seite, die ihn zu neuen Sinnfragen inspiriert und seine bisher den Mittelpunkt seines Lebens bildende Wissenschaft in den Hintergrund drängt. Dieses Glück, sogar von Heirat ist die Rede, währt nur ganze vier Jahre, bis zum frühen Tod der Stechardin, die einer Epidemie zum Opfer fällt.
Mit sprödem Charme und durchaus auch humorvoll erzählt, hinterlässt der Roman einen zwiespältigen Eindruck. Er ist kaum bereichernd, der als Protagonist missbrauchte Lichtenberg wird zwar häufig mit seinen Aphorismen zitiert, er wird aber eher als Hampelmann denn als scharfsinniger Satiriker vorgeführt, man erfährt nichts Erhebendes von ihm. Und der zweifellos vorhandene Unterhaltungswert der ungewöhnlichen Liebesgeschichte leidet doch sehr an der merkwürdigen Erzählweise, die passt weder auf Lichtenberg noch auf die Liebe. Schade eigentlich, dass da so gesudelt wurde!
Fazit: mäßig
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