Trockengebiet – oder – Von der Dürre der Welt
,,Auch wenn dies Land / gänzlich verwüstet sein wird, /
die Liebe…wird es noch ein wenig begrünen.“
Die ist ein Ausspruch der Hoffnung, ein Ausspruch tröstlicher Gewißheit. Oder aber auch ein Sich-Klammern an einen letzten uns doch gegebenen, uns aber verborgenen, verborgen bleibenden Sinn, einen Sinnzusammenhang des Lebens.
Davon sprechen, darum ringen Franz. Richters Gedichte aus der Gedichtsammlung „Trockengebiet“. Es sind stille Gedichte. Solche mit dem Rhythmus des Wellenschlages des Meeres. Man muß in sie hineinhören, um ihren Atem zu empfinden: den Atem der Zeit. Es sind Gedichte, die ein Land beschreiben, das zwischen Erinnern und Vergessen liegt. Ein dürres Land. Die Welt als eine ,,Schöpfung“, die „von uns verjuxt und zerstört“ worden ist. Und in ihr die Suche nach dem eigenen Ich, nach dem Du, nach der verbindenden Gemeinsamkeit als Bezugspunkt zu sich selbst, zum Anderen und zur Welt. Die Suche nach der eigenen Identität, nach dem Ich-Ereignis als Wahrheitsereignis, nach dem Wahrheitsereignis wiederum als Ich-Ereignis. Die Liebe als konkrete Möglichkeit dazu. Und dies alles als Lebensweg. Jede Berührung bedeutet ein Hinterlassen von Spuren, von der Abnützung; bedeutet Wunden, Verlust; aber auch ein Wachsen der Hoffnung. Ohne Hoffnung wäre die Gewißheit unerträglich. Die Fülle des Lebens in der Dürre der Zeit nehmen als Möglichkeit der Beteiligung, als Aufruf zum Aufleben. Denn: „Wem etwas zu viel ist, der hat zu wenig geliebt.“ Denn: „Ohne unser Zutun verliert uns die Zeit.“ Frage und Antwort: ,,Wo ist meine Zeit hingeraten? / Mein Herzschlag hat sie mir vertrieben“ – „Was also habe ich noch zu erhoffen?“ – „Ich trage meine Jahre. / Meine Jahre tragen mich..“
Ist dies das Gleichnis des Lebens, seine Erfüllung?“ Was erwarte ich noch / im Wissen, wie nah die zeitlose Stunde schon ist?“ Gedichte des Abschieds? Oder solche des Aufbruchs? Der Verzicht auf die Suche nach Kausal-Zusammenhängen deutet sich an, die Suche nach Sinn-Zusammenhängen wird sichtbar, spürbar. Die Vergangenheit wird zur Hilfe gerufen zum Weg in die Zukunft. Reflexion als Mittel zur Standortbestimmung. Angesichts der Erfahrung, daß so vieles zerbricht, zerbrochen wird, zurück zum Ansatz der Frage: Gibt es adäquat zum Gesetz des Werdens und Wachsens auch ein solches der Zerstörung, des Zerstörtwerdens? Die Antwort wird gesucht, auch eine auf die Frage: „Was nehmen wir mit, / wenn sich der Anker lichtet?“ aus diesem Leben, aus dieser Welt, aus dieser ,,Gemeinschaft Von Leben und Tod“ ? Und was hinterlassen wir als Vermächtnis? Und ist das Leben nur das, was uns zustieß? Dann, so Richtert, „Nimm an, was dir zustieß./ So wird an Dir Geschehnis zur Tat, / zur Gabe deine Ergehung!“
„Ich lebe auf, / wo mein Ich ablebt…“ Markiert diese Aussage Resignation, Ergehung, oder ist dieser Ausspruch eines scheinbaren Paradoxon nicht Zeugnis eines Wissens, daß gerade im Abschied die größte lntensität einer Gegenwart sich an uns vollzieht? Das Du als Weggefährte, um ,,gemeinsam zu verglühen.“ Ist diese Abschiedssituation, diese permanente als Lebensereignis in der Dürre des Daseins, in diesem Trockengebiet Leben, wirklich eine geeignete Position, womöglich nur die einzige, von der aus wir die Frage zurück und ins Nichts stellen können als eine Frage nach uns und der Welt. Oder ist es so, daß wir antwortlos bleiben, „niemals wissend, / ob unser Dasein sein wird, / denn unzuverlässig ist unser / Vertrag mit dem Gewesenen“?
Das Leben, jeder Versuch, sich seiner zu bemächtigen, mit seinen Auswüchsen der Zivilisation, mit seinen Wunden am eigenen Ich, am anderen Du, ist es ein einziger Verrat am Paradies, bedeutet es den Verlust der Heimkehr? Liegt gerade im Ereignis, im Ereignis des Lebens die Verwehrung der Antwort? Und die der Erkenntnis der Wahrheit?! Ist sie erst möglich, wenn überhaupt, erst ,,am Ende der Zeit“? Es scheint so. Denn „alles wird ungenau, / wenn es sein Unendliches einbüßt.“
Franz Richter ,,Trockengebiet“, Gedichte, , 1980, Band 14 der Reihe ,,Lyrik aus Österreich“, hrsgg. von Alois Verlag G. Grasl, Baden bei Wien Vogel und Alfred Gesswein.
Peter Paul Wiplinger
Wien, 27.7.1980