Mischa, ein junger Wiener DJ und Radiomoderator hadert mit seiner verworrenen Kindheit. In seinen ersten acht Jahren lebte er noch mit und bei seiner Mutter, doch diese verabschiedete sich öfter für ungewisse Zeit an einen ungewissen Ort und irgendwann vergaß sie das Zurückkommen ganz. In Folge lebte Mischa bei Exmännern seiner Mutter und Exfrauen seines Stiefvaters mit den unterschiedlichsten Geschwisterkonstellationen und so kam es, dass er für alle zum liebevollen, großen Bruder wurde. Er hat zwei Stiefbrüder, einen Halbbruder, etliche Nennbrüder und dann noch Lilli und Mila, seine Achtelschwestern, die Töchter der ersten Frau des Stiefvaters aus zweiter Ehe, anders ausgedrückt die Halbschwestern der Halbbrüder seines Halbbruders. Die Frage, ob man Verwandschaft wirklich in Brüchen definieren kann, stellt sich ihm früh.
Deswegen ist das mit der Liebe und erst recht mit einer möglichen Bindung auch nicht so einfach für ihn. Eigentlich ist er glücklich mit Hannah, doch als die Beziehung ernster wird und Hannah ihn ihrer Familie vorstellen mag, weigert er sich. Seine Familie ist ihm schließlich kompliziert genug. Hannah legt ihn und ihre Liebe daraufhin zunächst auf Eis und Mischa wird klar, dass für ihn die Zeit gekommen ist, sich seiner Vergangenheit und seinen Gefühlen zu stellen.
In Rückblenden erzählt Mischa von seiner chaotischen, aber nicht lieblosen Kindheit. Vom leiblichen Vater, der ein Träumer war, welcher keine Beschränkung seiner Träume duldete. Vom Stiefvater Janek, ein Mann wie aus einem Dostojewski Roman, der Mann, an dem sich alle in der weit verzweigten Familie abarbeiten. Er ist ein Mann, der sich nie ändert, allerdings ändert sich langsam der Blick, den Mischa auf ihn hat. Von Jenny, der seelenvollen Drittfrau des Stiefvaters, von Toni, der letzten großen Liebe des Stiefvaters, der Frau, die schließlich die ganze verworrene Familie zusammen hält.
Während er sich erinnert, schreitet die Geschichte in der Gegenwart voran. Jul, der blutverwandteste Bruder von allen, wird zum Problemkind, Hannah schwanger von einer Zufallsbekanntschaft und Mischas Leben auch dadurch nicht leichter, dass er sich während dieser Sendepause in Nella verliebt, die ihrerseits große Probleme mit einem Viertelbruder hat. Normalerweise ist Familie ein jahrhundertealtes Rezept, gar gekocht durch Jahre des Zusammenlebens, die Soße gebunden mit Blut. Doch Mischas Familie ähnelte eher einem Wok-Gericht. man schmniss einfach alles hinein, was man gerade zuhause hatte und von dem , was man nicht zuhause hatte, behauptete man, es gehöre gar nicht hinein.
Die Wiener Autorin Ruth Cerha hat die Zutaten für ein abgerundetes Rezept einer gut erzählten Geschichte gefunden. Sie lässt ihren Mischa die Geschichte klar, uneitel und ohne Sentimentalität erzählen. Sie findet eine leichte, fast schon musikalische Sprache, die den Leser die zugrunde Melancholie erahnen lässt, ihn damit aber nicht belastet. Geschickt bindet sie das Flair der Wiener Schausplätze in ihre Erzählung ein und entlässt ihre Leser mit der durchaus tröstlichen Gewissheit, dass Familie nicht immer etwas mit Blutsverwanschft zu tun hat und Verwandschaft eben nicht in Brüchen aufzurechnen ist. Am Ende ist Verwandschaft doch eher eine Primzahl. Unteilbar, undefinierbar und die Antwort, die man auf die Frage “Bist Du verwandt?” des jüngsten Zehntelbruders Max findet.
Eine wichtige Rolle im Buch spielt nicht nur der Wiener Schmäh, sondern auch die Musik. Der leibliche Vater ist ein erfolgloser Musiker, der seiner Musik trotzdem alles unterordnet. Die Schallplattensammlung des Stiefvaters gibt dem Buch seinen roten Faden und natürlich ist da Mischa, der leidenschaftliche DJ. Leider ist gerade hier einer von zwei Kritikpunkten. Die Bedeutung der Musik für den leidenschaftlichen DJ, dass er gerade dies und nichts anderes werden konnte, dass Musik das Medium war, welches ihn aufnahm und ihm Geborgenheit schenkte – da wäre mehr drin gewesen. Es ist, als ob ausgerechnet dort die Autorin, die auch ausgebildete Musikerin ist, sich bewusst zurückgenommen hat. Möglicherweise trug sie Bedenken, zu überschäumend zu wirken. Dabei trifft sie so oft gerade durch das Musikalische in ihrer Sprache mitten ins Herz. Etwas mehr Mut zur Euphorie wäre bei diesem Thema bestimmt belohnt worden.
Der zweite Kritikpunkt bezieht sich auf die dem Roman angehängten Gesprächsprotokolle. Lilli und Mischa sprechen im Laufe der Geschichte mit einigen Mitgliedern der weitverzweigten Wahlfamilien, um mehr Klarheit zu bekommen. Das wird thematisiert, aber die Protokolle der Gesprächen sind dem Roman hinten angefügt, noch nach dem Epilog. Für den Lese-Fluss der Geschichte wäre es sicher leichter gewesen, man hätte diese sukzessive in die Geschichte integriert. Erlauben diese Protokolle doch noch einmal einen anderen Blick auf so manche Charaktere, den man gerne auch schon im Laufe der Geschichte gehabt hätte. Außerdem hätte der Leser dann die Chance gehabt, den wirklich schönen, versöhnlichen Epilog länger für sich stehen und auf sich wirken zu lassen. Dennoch: Der Leser fühlt sich wohl in dieser Familien-Gemengelage und Mischa ist ein sehr liebenswerter Held. Die Geschichte von den Zehntelbrüdern ist eine ganz und gar nicht ausweglose Erzählung, ein Buch getragen von tröstlicher Melancholie.
Fazit: Lesenswert. Absolut. Für mich eins der Bücher, welches zunächst keinen Platz im Regal findet. Sondern auf dem Stapel der Bücher, die ich unbedingt noch ein zweites Mal lesen mag.