Es scheint aktuell in Mode, ein Werk mit dem Schlusspunkt zu beginnen, um es dann in Rückblenden zu erzählen. Auch Uwe Kopf bedient sich dieser Technik in seinem biographischen Roman »Die elf Gehirne der Seidenspinnerraupe«.
Uwe Kopf beginnt sein inhaltlich wuchtiges Werk mit dem Tod seines Bruders Tom, der sich im Alter von 40 Jahren »nach Art der Greise« erhängt.
Der Autor schildert seinen Bruder Tom als gescheiterte Existenz, als glücklosen, immer wieder über den Sinn des Lebens grübelnden, dünnhäutigen Mann, der im Schatten seines erfolgreichen Bruders steht. Entsprechend karg fällt seine Bilanz aus, die er auf dem Zettel formuliert, den die Polizei neben seiner Leiche findet. Links auf dem Zettel stehen seine Wünsche, nämlich »Eva, Respekt, Sinn, Ruhe«, rechts steht das erreichte, nämlich »nichts, da kommt nichts mehr« .
Lediglich einmal gelingt Tom ein fantastischer Satz, mit dem er eine Plattenkritik beginnen will, die sein erfolgreicher Bruder als Textchef und »Starkolumnist« beim Szeneblatt »Tempo« beauftragt. Doch dabei bleibt es auch, und so begleitet der Leser ihn durch die Tiefen und Untiefen seines Lebens. Dass dabei der Erzähler häufig mehr über sich als über seinen Bruder plaudert, ist einer der Wesenszüge dieses von vielen Seiten hochgelobten Romans. Dabei ist dieses Epos der Popliteratur mühsam zu lesen und bestimmt nicht jedermanns Sache. Der ständige Einbau von Songtextfetzen, die kulturbeflissene Aneinanderreihung von politischen und privaten Ereignissen, die philosophischen, religiösen und literarischen Exkurse, der mäandernde Erzählstil und schließlich die Leidenschaft des Autors für Bindfadensätze, die häufig eine ganze Buchseite verschlingen, zeugen zwar vom intellektuellen Vermögen des Verfassers, bleiben jedoch Geschmackssache.
Uwe Kopf war in seiner Zeit als »Tempo«-Textchef berühmt-berüchtigt für seine Auffassung von Stilredaktion, wonach vor allen Dingen szenetypische Ausdrücke zu vermeiden seien. Er selbst widerspricht sich in seinem Debut, wenn er wortgewaltig und facettenreich jeden Winkel des Lebens seines Protagonisten durchforstet. Auch seinem öffentlichen Plädoyer zur Adjektivvermeidung und der Aufforderung, einen Text stets auf das Skelett zu reduzieren, wird der Autor, der Anfang 2017 kurz vor dem Erscheinen des Romans verstarb, alles andere als gerecht. Uwe Kopf war ein Könner der kurzen Form, dessen Kolumnen und Besprechungen kleine Meisterstücke waren. An der vorliegenden großen Form der Biographie hätte sich schon während der Entstehung ein Lektor seines Formats abarbeiten sollen.
Im Ergebnis bietet »Die elf Gehirne der Seidenspinnerraupe« ein Kaleidoskop Hamburgs der siebziger und achtziger Jahre, das all jenen, die Zeit und Ort kennen, Vergnügen beschert und, bedingt durch immer neue Anspielungen, auch mancherlei Erinnerungen wachruft. Daraus jedoch Literatur der Superlative machen zu wollen, ist eher dem derzeitigen Mangel an ausgezeichneten deutschsprachigen Romanen geschuldet.
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Dankeschön. Dann werde ich mit dem Lesen noch warten, bis ich nichts mehr anderes habe…