Da steht er nun. Der Wahl-Münchner Stefan auf dem Sommerfest seines alten Bochumer Fußballclubs, die Tulpe mit frisch gezapftem “Pilsken” in der Hand, ein Lokalderby im Blickfeld, im Kreise alter Freunde und Wegbereiter. Stefan, gebürtiger Bochumer und leidlich begabter Schauspieler, hat sich vor 10 Jahren gegen Halden und für die Alpen entschieden. Dummerweise wurde sein Theater-Engagement nicht verlängert, man hat wohl gemerkt, dass seine Kunst mehr leidlich denn begabt ist. Seine Beziehung zu Schauspielkollegin Anka hat auch schon bessere Zeiten gesehen und der einzig greifbare Strohhalm ist ein Casting-Termin für eine neue Vorabendserie. Just in dieser Phase seines Lebens verabschiedet sich Onkel Hermann von der Welt. Onkel Hermann hat in Bochum die Stellung im alten Bergarbeiter-Reihenhäuschen von Stefans viel zu früh verstorbenen Eltern gehalten. Stefan bleibt nichts anderes übrig, er muss tief in den Westen, wenigstens für ein Wochenende, um den Verkauf seines Elternhauses in die Wege zu leiten. “Vor manchen Dingen kann man sich nicht drücken, das hat er gelernt, das hat ihm sein Vater klargemacht, da muss man einfach durch. Schnell rein, schnell raus, keine Gefangenen. Das war der Plan.” Nur einige wenige Leute, die es verdienen, will er treffen. Allen voran natürlich die geliebte Omma Luise, den alten Kumpel Frank und dessen noch immer verwirrend schöne Frau Karin, auch ein Besuch inne Bude vonne Tante Änne sollte drin sein. Zu allem Überfluss ist es das Wochenende der Sommerfeste. Nicht nur bei seiner alten Spielvereinigung wird gefeiert, es ist auch noch das Wochenende des größten Sommerfestes, dass der Pott je zelebriert hat. 60 km Tische und Aktionen auf der A 40, dem berüchtigten Ruhrschleichweg. Es ist das Wochenende vor der LoveParade, als das Ruhrgebiet noch trunken von seiner Kulturhauptstadtwichtigkeit war. Da Stefan jetzt schon mal da ist, muss er natürlich auch auf der Autobahn mitfeiern. Nicht, dass die alten Freunde denken, er hielte sich für was Besseres. Denn im Pott kann man “sich nämlich einiges zuschulden kommen lassen, aber sich für was Besseres halten, das ging nun gar nicht.” Und so wird dieses Heimatwochenende für Stefan zur Tour de Ruhr, zum Wiedersehen mit alten Freunden und Feinden und nicht zuletzt mit seiner unvergessenen Sandkastenliebe Charlie, der Tochter des “masurischen Hammers”, Kirmes-Preisboxer und lokale Berühmtheit. Charlie, die sich verändert hat und doch wieder nicht. Charlie, die immer schon wusste, was gut für ihn ist und die ihm auch heute noch seinen Weg zeigen könnte, wenn Stefan sie nur mal lassen würde.
Da sind wir nun. Der neue Goosen ist raus. Seit Wochen schon kloppen sich die Menschen im Ruhrgebiet um die letzten, vereinzelten Restkarten für seine Lesereise, in den lokalen Medien ist er omnipräsent, bei West-Art erleichtert der Autor höchstselbst die Recherche, indem er bestätigt, dass Sommerfest das erste Goosen Buch ist, in dem die Stadt Bochum explizit als Ort des Geschehens genannt wird. Und? Hält der Titel, was er verspricht? Von mir ein klares Ja. Der Titel ist das Programm. Sommerfest ist auch ein Fest für den Leser. Ein Fest, bei dem das Leben und die Freundschaft gefeiert werden, ein Fest, auf dem aber auch ernste und melancholische Gedanken ihren Platz haben. Heimat und der Platz, den man im Leben inne hat oder gerne hätte, die wiederkehrenden Themen des Frank Goosen. Ging es in seinen ersten Romanen noch ums Erwachsenwerden, sind es wie in “So viel Zeit” nun auch in “Sommerfest” die Weichenstellungen und Korrekturen, die der FortySomething noch vornehmen kann.”Einmal falsch abgebogen und dafür ewig und drei Tage auf die Fresse gekriegt” – das muss ja nicht unbedingt so bleiben. Was unbedingt so bleiben sollte und was zu bewahren Goosen ein erklärtes Anliegen ist, sind “die bedrohte, schützenswerte Sprache” und die Geschichten des Ruhrgebiets. “Man müsste all die schönen Geschichten mal aufschreiben, die Storys, die auf der Strasse liegen und die man nur aufheben muss”. So wünscht es sich Omma Luise im Buch. Genau das ist es, was Frank Goosen tut. Er schreibt nicht nur die Chronik der schönen Geschichten, er bewahrt uns Ruhrgebietlern auch all die schönen Wörter wie Killefit oder Klümpchen, “Wörter, die schon in Köln keiner mehr versteht.” Nebenbei haucht er den alten Sprüchen, die nicht nur er seiner Omma verdankt, neues Leben ein. Und sei es auf den Souvenirs zum A 40 Event, worüber er seine Hauptfigur Stefan selbstironisch den Kopf schütteln lässt, denn sowas sei ja eigentlich “der Gipfel der Albernheit”.
Fazit: Auch in Sommerfest bleibt Goosen sich selber treu, ohne auf der Stelle zu treten. Sein Stil ist unverwechselbar, er wird mit jedem Buch allerdings klarer, behält seine Ironie und verliert an Lakonie, was seiner Intention durchaus zugute kommt. Einen Extrapunkt dafür, wie geschickt Goosen seine Figur Stefan nutzt, um die im Ruhrgebiet beliebte Sitte, das Gestern zu verkommerzialisieren oder zu “vergotten”, durchaus differenziert zu beleuchten. Sommerfest ist aber beileibe kein Buch, welches sich nur für hartgesottene Ruhrgebietler empfiehlt. Goosens Blick auf die Welt ist zwar vom Pott geprägt, aber seine Sicht der Dinge ist über lokale Grenzen und nebenbei bemerkt auch über Altersgrenzen hinaus lesenswert.
Der Autor: Frank Goosen, Jahrgang 1966, lebt in seiner Heimatstadt Bochum, aus der es ihn nicht einmal fürs Studium fortzog. Beliebt und bekannt wurde er im Ruhrgebiet mit dem Kneipen Literaturkabarett “Tresenlesen”, seit 1995 ist Goosen Gründungsmitglied und Vorstand des PrinzRegent Theaters in Bochum. 2001 erschien mit “Liegen lernen” sein erstes Buch, welches ihn verdient über die Grenzen des Ruhrgebiets hinaus bekannt machte. Es folgten weitere Romane, Kurzgeschichten und natürlich Kolumnen in den einschlägigen Fußball-Magazinen, Herzenssache für den fußballverrückten stellvertetenden Aufsichtsrat des VFL Bochum. Mit Lesungen seiner Bücher, aber auch mit eigenen kabarettistischen Programmen tourt Frank Goosen regelmäßig. Wem es gelingt, eine Karte zu ergattern, seien seine Vorstellungen ans Herz gelegt. Der gelernte Tresenleser hat nichts verlernt, treffsichere Spitzen sowie seine Begabung für spontane Repliken machen solche Abende zuverlässig zum Erlebnis.
Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift