Ein großer Dichter ist Leonard Cohen, auch wenn ihn viele „nur“ als Sänger kennen oder wahrnehmen. Dabei unterlegte er seine Verse anfangs nur deshalb mit Musik, weil er damit besser Geld (auch fürs sorgenfreie Dichten) verdienen konnte, und weil die Gedichte selbst eher verhalten Absatz und Verbreitung fanden. Sogar zwei Romane schrieb der 1934 in Montreal Geborene, und so wäre eigentlich er, und nicht nur der dichtende Rockmusiker Bob Dylan, ein heimlicher Anwärter auf den Literaturnobelpreis, der sich der musikalischen Dichtung bislang verschlossen hat. Cohens elegante, originelle, psychologisch anspruchsvolle Liedtexte verraten bereits den Meister der Seelensprache.
Nun liegt der hierzulande nahezu unbekannte, autobiografisch geprägte Roman „Das Lieblingsspiel“ aus dem Jahre 1963 wieder vor. Er wurde im Auftrag des kleinen, aber feinen Blumenbar Verlages (vor kurzem aus München nach Berlin umgesiedelt) von Gregor Hens neu ins Deutsche übertragen.
Der poetische Roman mit den wunderbaren Metaphern erzählt die Geschichte eines Jungen, der hin- und hergerissen ist zwischen dem wohlhabenden jüdischen Elternhaus und dem Suchen nach einer eigenen Identität. Lawrence Breavman führt tagsüber philosophische Gespräche mit seinem Freund Krantz und pflegt des Nachts einsame Spaziergänge durch den menschenleeren Park zu unternehmen, wo er sich als Herr über die Stadt fühlen kann. Nach dem Tod des Vaters entflieht er der knebelnden Liebe seiner Mutter und geht zum Studium – zumindest bildet das College den lockeren Rahmen zu seinem anarchistisch anmutenden Leben. Er weiß nicht, was er mit seiner Zukunft anfangen soll. Er diskutiert und dichtet und verfällt einer eigentümlichen Hassliebe zu der schönen Kommunistin Tamara (die später länger währen soll als die große Liebe zu der gleichsam vollkommenen Shell). Allmählich gewinnt Breavman in der Stadt eine gewisse Popularität als Dichter, auch weil sich manche Leser seiner schonungslos offenen Texte Klatschgeschichten aus Westmount, dem vornehmen Vorort Montreals, erhoffen. Andere, vor allem Frauen, lieben die disziplinierte Melancholie, die Breavman zu Beginn seiner dichterischen Laufbahn der Welt vorgaukelt. Dabei hat seine Vorstellung vom Dichterdasein mit Demut und Opferbereitschaft zu tun. So tut er gleichsam Buße und wird Hilfsarbeiter, statt ein Dasein als Edeldichter zu genießen. Später entzieht er sich gar mit schmerzhafter Konsequenz der großen Liebe, um unabhängig und frei zu bleiben, um immer wieder die Möglichkeit eines neuen Anfangs zu haben, um weiter nur sich selbst zu gehören. Schließlich flüchtet er sich in ein jüdisches Sommerlager, das von seinem alten Freund Krantz geleitet wird, und scheitert auch dort dramatisch. Doch Breavman erinnert sich endlich an das Lieblingsspiel seiner Kindheit und nimmt dessen Unbeschwertheit mit in die Zukunft …
Selten sind das Wesen der Liebe und das Geheimnis des Lebens so originell und plastisch ergründet worden wie von dem eigenwilligen Kanadier Leonard Cohen. Seine Lieder entfalten ebenso wie der vor über vier Jahrzehnten entstandene lyrische Roman bis heute einen besonderen Zauber, sensibel, doch unsentimental und zuweilen auch verwirrend. Sie offenbaren so manches Rätsel menschlichen Miteinanders auf eigene, bedächtig-vitale und nachdrückliche Weise.