Frühlingsnacht

Coming-of-Age-Geschichte voller Rätsel

Mit «Frühlingsnacht» wurde Anfang des Jahres bereits den vierten Roman des norwegischen Schriftstellers Tarjei Vesaas in einer gelungenen deutschen Übersetzung herausgebracht. Der Autor zählt in seinem Heimatland zu den bedeutendsten Schriftstellern überhaupt und wurde mehrfach auch für den Nobelpreis vorgeschlagen. Die deutsche Ausgabe wird durch ein wenig informatives, eher ärgerliches Nachwort ergänzt, in dem die hierzulande weitgehend unbekannte, norwegische Schriftstellerin Hanne Ørstavik weit ausholend mehr über sich selbst schreibt als über das Buch, um das es ja eigentlich geht.

Im Mittelpunkt dieser Coming-of-Age-Geschichte steht der 14jährige Hallstein, der mit seiner vier Jahre älteren Schwester Sissel über Nacht allein ist in ihrem abseits gelegenen Haus. Seine Eltern sind zu einer Beerdigung gefahren und werden erst am nächsten Tag zurück sein. Voller Freude über die «sturmfreie Bude» haben sie sich gerade gemütlich zum Abendessen niedergesetzt, als es plötzlich überraschend laut an der Tür klopft. Draußen im Regen stehen zwei Männer und zwei junge Frauen, die mit ihrem Auto liegen geblieben sind und dringend um Hilfe telefonieren wollen, weil die etwas ältere der beiden Frauen, Grete, schwanger ist und die Wehen schon eingesetzt haben, sie steht kurz vor der Niederkunft. Im Haus gibt es zwar ein Telefon, aber Anfang der 1950er Jahre sind dort nur handvermittelte Gespräche möglich, und die Vermittlung ist schon geschlossen um diese Uhrzeit.

Sissel stellt das Schlafzimmer der Eltern für Grete zur Verfügung, und Hallstein wird von Karl, Gretes Mann, aufgefordert, schnell mit ihm auf Fahrrädern in das nächste Dorf zu fahren und die Hebamme herbeizuholen. Karls Vater Hjalmar kommt Hallstein ziemlich komisch vor, weil er viel wirres Zeug spricht und beim Sprechen immer wie wild mit den Armen herumfuchtelt. Er will nun schnellstmöglich seine Frau Kristine aus dem Auto holen, sie sei stumm und könne nicht laufen, er müsse sie seit einem Jahr immer tragen. Sie wird im Zimmer von Sissel untergebracht und fängt, als sie mit Hallstein allein ist, plötzlich überraschend doch an zu sprechen. Sie bittet ihn um Hilfe, falls sie ihn rufe, sagt aber nicht, wobei er denn helfen soll. In Karls Halbschwester Gudrun meint Hallstein die Traumfrau wieder zu erkennen, die ihm nächtens häufig am Fenster erscheint, er hatte ihr den Namen Gudrun gegeben in seiner blühenden Phantasie. Die Hebamme ist da und holt nachts das Baby von Grete und Karl auf die Welt, während Kristine am nächsten Morgen tot im Bett liegt, – warum bleibt offen. Es stellt sich schließlich auch heraus, dass Hjalmar während der Autofahrt Kristine in einem heftigen Streit verboten hat zu sprechen, was sie ebenso strikt befolgt hat wie sein Verdikt von vor einem Jahr, sie könne nicht mehr laufen.

Die nächtlichen Besucher tragen dramatische Konflikte hinein in das stille Haus von Hallstein und Sissel, die nicht wissen, was ihnen geschieht in den Turbulenzen, die sie wie ein Gewitter mit Blitz und Donner überziehen. Die friedliche Frühlingsnacht hat sich jäh in ein Drama verwandelt, mit dem sich Hallstein als der Jüngste in diesem kammerspiel-artigen Geschehen plötzlich erschrocken und ungewollt wieder findet. Für ihn als naiven Protagonisten vollzieht sich in dieser einen Nacht schlagartig der Wandel vom Kind zum Erwachsenen. Er erlebt ein Abenteuer, in dem Geburt und Tod direkt aufeinander folgen. Das bringt auch viel Ungeklärtes ans Licht und hat all die merkwürdigen Figuren am Ende nachhaltig verändert. Für seine verstörende Geschichte hat der Autor eine dem szenischen Wirrwarr stakkatoartig angepasste, stockende und reduzierte Sprache gefunden, in der Vieles nur angedeutet und fast nichts begriffen wird. Legitime Erwartungen der Leserschaft dürften sich mit diesem eigensinnig unkonventionellen Roman wohl kaum erfüllen, – Andeutungen allein aber werden der anspruchsvollen Thematik partout nicht gerecht!

Fazit:   mäßig

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Genre: Roman
Illustrated by Guggolz-Verlag Berlin

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