Unterhaltungs-Literatur im besten Sinne
Mit dem autobiografisch inspirierten Roman «Dieser weite Weg» knüpft Isabel Allende nach mehr als drei Jahrzehnten endlich wieder an das narrative Niveau ihres äußerst erfolgreichen Debüts «Das Geisterhaus» an. Auch in der hier vorliegenden, epischen Erzählung geht es, wie so oft in den Romanen der Grande Dame der latein-amerikanischen Literatur, um politische Themen wie Revolution, Diktatur, Flucht und Verrat, aber auch um emotionale wie Liebe, Ehe, Leid und tragische Schicksale. Wie sie im Nachwort schreibt, erfuhr sie vor vier Jahrzehnten, als sie noch gar keine Schriftstellerin war, von der ‹Winnipeg›, jenem Flüchtlingsschiff, mit dem viele Spanier auf Betreiben von Pablo Neruda aus dem von den Nazis bedrohten Frankreich weiter nach Chile geflüchtet sind. Für den Roman hat die Chronistin wie immer umfangreiche Recherchen betrieben, die ihr «Material im Überfluss» gebracht hätten. «Dieses Buch hat sich von selbst geschrieben, als hätte es mir jemand diktiert», schreibt sie in den Danksagungen am Ende. Herausgekommen ist dabei eine pralle Familiengeschichte, die vor dem Hintergrund der politischen Umbrüche jener Zeit und deren katastrophalen Nachwirkungen angesiedelt ist.
Das in dreizehn Kapiteln chronologisch erzählte Epos umfasst zeitlich die Jahre von 1938 bis 1994. Der aus Barcelona stammende Victor Dalmau, Held des Romans, ist nach drei Jahren Medizinstudium als Sanitäter an die Front gegangen. Gleich zu Beginn rettet er einem schwerverletzten, kleinen Soldaten der «Schnullerkohorte», für die man als letztes Aufgebot Kinder rekrutiert hat, durch beherztes Eingreifen das Leben. Victor entschließt sich kurz vor dem absehbaren Sieg der Faschisten unter Franco zur Flucht nach Frankreich. Sein Bruder ist in der Elbroschlacht gefallen, wie er erfahren hat, und da seine Schwägerin Roser hochschwanger ist, erzählt er ihr vorsichtshalber nichts davon. Nach einem beschwerlichen Fußmarsch über die Pyrenäen erreicht er mit ihr zusammen Frankreich. Dort erfährt er im Flüchtlingslager, dass Pablo Neruda den Auftrag hat, einen Transport ausgewählter spanischer Flüchtlinge nach Chile zu organisieren. Er bekommt für sich als Arzt eine Zusage, aber um Roser und ihr Baby auch mitnehmen zu können, heiratet er sie pro forma und erkennt das Kind als seines an.
In Chile beginnt er schon bald als Arzt zu arbeiten, Roser studiert Musik und startet ihre Karriere als Konzert-Pianistin. Beide bauen sich gemeinsam eine Existenz auf, sie sind bestens integriert in ihrem Exilland und fühlen sich schon bald nicht mehr als Spanier, sondern als Chilenen. Irgendwann beendet Roser auch die keusche Ehe mit Victor, der zwischendurch mal eine wilde Affäre hatte samt unehelichem Kind, aber sie und Victor verlieben sich nun wirklich ineinander. Nachdem der Sozialist Salvador Allende 1970 Präsident geworden ist, verschärfen sich die ewigen politischen Querelen immer mehr und eskalieren schließlich drei Jahre später im Putsch des Militärs unter Augusto Pinochet. Der überzieht das Land mit Terror, bei dem Victor und Roser wegen ihrer Gesinnung prompt ihren Job verlieren, weshalb sie beschließen, ins Exil nach Venezuela zu gehen. Aber dort hält sie auf Dauer nichts, und sie kehren wieder in ihre alte Heimat Spanien zurück.
Isabel Allendes auktorial erzählte, prallvolle Geschichte ist in einem zuweilen ironischen Stil geschrieben, sehr detailreich, aber immer zielgerichtet und ohne Schnörkel. Ihre Figuren-Zeichnung geht leider nicht in die Tiefe, ihr Personal wirkt aber durchweg sympathisch. Als erfolgsverwöhnte Bestseller-Autorin liegt ihre Stärke auch hier wieder eindeutig in der raffinierten Handlung ihres Romans, dessen kluger Plot dem Leser, stimmig und leicht nachvollziehbar, ihre politische Thematik nahe bringt als ein Fanal gegen Willkür, Vertreibung und Entwurzelung. Dieser Roman ist mithin gute Unterhaltungs-Literatur, – mehr nicht! Die aber wirkt durchaus auch bereichernd und ist beispielsweise gespickt ist mit viel ironischer Gesellschaftskritik oder auch mit zynischen Seitenhieben auf bigotte katholische Würdenträger.
Fazit: lesenswert
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