Mari, eine Frau um die Vierzig, als Einzelkind aus einer ordentlichen, bürgerlichen Familie – Vater Lehrer, Mutter Hausfrau, stammend, eigensinnig, eigenwillig, eigenbestimmt, extravagant, außergewöhnlich, geht ihren eigenen Weg, ihren Lebensweg. Der wird an einem dramatischen Wendepunkt ausschnitthaft in einzelnen Sequenzen, schlaglichtartig beleuchtet, in achtunddreißig kurzen Kapiteln erzählt.
Mit siebzehn Jahren Schulabbruch. Sie reist ihrem ersten, älteren Geliebten, für den sie nur ein Stück Jugend ist, nach Rom nach. Dort lernt sie kochen, wie eine römische Mamma, das heißt: Einfaches köstlich und raffiniert. Das ist das Einzige, was sie wirklich gelernt hat und kann, das wird zu ihrer Lebensgrundlage. Sie betreibt mit ihrer Freundin Vera den „Privaten Abendtisch“, dreimal die Woche. Mari kocht, Vera kümmert sich um die Getränke. So hat sie es sich eingerichtet im Leben; nach jahrelangem Herumziehen mit ihrem Mann Björn, einem egomanischen Musiker. Man lebt getrennt. Sie mit ihren halberwachsenen Kindern, den beiden Zwillingen Max und Mimi im Haus von Björn. Der zieht weiter herum, mit seiner Band und seinen Weibergeschichten. Auch Mari hat (gerne) ihre wechselnden Liebhaber als Abwechslung im stets gleichen und doch so aufreibenden Alltag. Das Leben verläuft so dahin.
Bis plötzlich eines Tages die Würgeanfälle kommen, unerklärbar woher und warum; und mit ihnen die unerträgliche Angst davor. Und die Angst vor dem Ersticken dabei. Nein, sie gehen nicht einfach so vorbei, im Gegenteil, sie werden häufiger, intensiver, bringen das gewohnte Leben aus dem (scheinbaren) Gleichgewicht. Eine Psychoanalytikerin und Psychotherapeutin geht der Sache nach und ihr auf den Grund. Ergebnis: Kindesmißbrauch im frühesten Alter, im Babyalter, durch den eigenen Vater, für den Mari eine Totalversagerin ist. Unglaublich: ein solcher Inzest. Babyfick-Oralbefriedigung am eigenen Kind. Eine Ungeheuerlichkeit. Davon gibt es auch kein Kindheitserinnerungsbild; nein, noch zu früh geschah „das/es“. Aber der Körper hat sich eben aus irgend einem Grund plötzlich oder sich an den Abgrund annähernd, erinnert; und darauf reagiert: mit den unerträglichen Würgeanfällen. Nun ist alles aufgedeckt. Wie lebt man weiter? Die Kinder sind beim Großvater auf Urlaub. Kommen heim. Wie sagt man ihnen, was los ist; muß/soll man es ihnen sagen? Der eigene Vater! Ihr Großvater! Den man trotz seiner unerträglichen Überheblichkeit und Schulmeisterhaftigkeit doch irgendwie geliebt hat. Liebe schlägt in Haß um. Nein: Gleichgültigkeit. Dieser Vater ist jetzt für sie gestorben; die Mutter sowieso schon wirklich. Ich spucke auf ihr Grab, denkt Mari, tut es aber doch nicht. Frage am Grab: Hast du was davon bemerkt, etwa gar weggeschaut? Wer fickt noch alles seine Babys? Alles Babyficker, die da herumstehen, am Busbahnhof, in Kaufhäusern, sonstwo. Eine verfickte Babyfickerwelt Und da soll man denen noch ihr Essen kochen und servieren, damit man irgendwie Geld verdient und über die Runden kommt. Wie konfrontiert man den Vater damit, daß man es nun weiß, sein Geheimnis, das was einen fürs ganze Leben stigmatisiert hat, von dessen Stigmatisierung der Körper wußte und das man nun als erwachsene Frau mit Gewißheit weiß? Nein, Reden kommt nicht mehr infrage. Mari schreibt einen Brief, kurz, knapp: Ich weiß nun, was Du getan und mir angetan hast. Vom Vater keine Antwort. Weder Abstreiten noch Entschuldigung. Auf eine solche wartet Mari. Oder doch nicht wirklich. Denn sie kennt ihren Vater, den Herrn Lehrer. Nein, keine Konfrontation, keine Aussprache, Versöhnung ist sowieso nicht möglich. Nur: Überleben!
Aber auch das wäre nicht möglich, wenn es nicht Anton gäbe in ihrem Leben , jetzt, gerade zur richtigen Zeit. Anton, der kein Liebhaber ist, sondern ein liebevoller Freund, der zum Lebensgefährten wird, schon geworden ist. Anton, der sich wirklich um sie kümmert, sie nicht sexuell ausbeutet als Gelegenheitsfick. Nein, Anton ist endlich der Mann, der sie liebt. Und dann gibt es natürlich noch die beiden Kinder, die jetzt aber schon – sie haben sogar beide gerade maturiert – ihr eigenes Leben leben. Aber kaum daß man überlebt hat, geschieht eine weitere Katastrophe: Vera, die einzige wirkliche Freundin, mit der Mari jahrelang gearbeitet und die an ihrem Leben teilgenommen hat, bringt sich um, einfach so, unbegreiflicherweise. Immer war sie für Mari da, aufgeschlossen, in sich selber verschlossen; daß sie einen Sohn hatte, blieb ihr Geheimnis; von wem bleibt ungewiß. Und da stehen sie nun zur Verabschiedung vor dem Sarg, bevor der abfährt in den Verbrennungsofen. Alle stumm. Acht Menschen, die nichts zu sagen haben, nicht sagen können in einer solchen Abschiedssituation. Was sollte man einem toten Menschen, einem Leichnam denn auch sagen können, ohne daß es abgeschmackt klingt, Bruchstück einer nicht zelebrierter Zeremonie. Dann geht man zum Leichenschmaus. Niemand ißt was. Alle trinken nur, zu viel. Auf Vera! So endet dieser Lebensabschnitt in Maris Leben, in Trauer und Tod. Aber doch auch mit einem hoffnungsvollen Lichtblick: Anton und Mari brechen auf in ein neues Leben, in ihr Leben, lassen alles Bisherige hinter sich, beginnen ein neues Leben, irgendwie, aber jedenfalls zusammen, in einem kleinen Haus. „Für mich klingt das eher nach Bruchbude“, meint Mimi. „Keine Bruchbude“ erwidert Mari; und fügt hinzu: „ganz und gar nicht, die innere Architektur ist intakt“. „Und darin willst du leben?“ – fragt Mimi. Und Marie sagt lächelnd: „Ja“.
So endet der Text in diesem Buch, das Tabuisiertes aufzeigt, nichts verschweigt, das ergreift, berührt, provoziert, das unsentimental und unromantisch ist, die Dinge beim Namen nennt, das schonungslos ist, stellenweise erschüttert, gerade durch die lapidare aber präzise Darstellung des Abgründigen. Ein Buch, das von der Wirklichkeit spricht, in der die Wahrheit, die Wirklichkeit stets hinterfragend und sie sezierend, gesucht und in ihr gefunden wird. Ein Buch, das als ein wichtiges und hervorragend geschriebenes in die österreichische Literaturlandschaft gehört; so wie die eigenwillige jenische Autorin Simone Schönett.