Kein Klassiker in spe
Der im portugiesischen Original 2012 erschienene Debütroman von erhielt in der deutschen Übersetzung den deskriptiven Titel «Wohin der Wind uns weht». In einem kleinen Epos wird die Geschichte der Familie Mendes erzählt, drei Generationen umfassend bis in die Gegenwart und gespiegelt an den politischen Geschehnissen dieser Zeit. Der Autor, als Ingenieur arbeitslos geworden, hat dazu erklärt: «Ich war kein guter Ingenieur. Denn ich dachte die ganze Zeit an Literatur. Darum wurde ich wahrscheinlich auch entlassen. Aber das bot mir die Gelegenheit zu schreiben.» Die Rezeption seines Erstlings war allenthalben positiv, euphorisch wurde ihm von der portugiesischen Wochenzeitung Expresso gar ein Platz unter den Klassikern der Weltliteratur prognostiziert. Ein Wunder also, oder übertriebene Lobhudelei?
Zeitlich effektvoll startet die Geschichte am 25. April 1974, dem Beginn der Nelkenrevolution, mit der sich die Portugiesen von einer mehr als vierzigjährigen Rechtsdiktatur befreit haben. An diesem Tage «schnallte sich Celestino weit vor sieben Uhr den Patronengürtel um, schulterte die Browning, prüfte, ob er noch Tabak und Blättchen hatte, vergaß die Uhr an dem Nagel, wo außerdem ein Kalender hing, und verließ das Haus.» Vierzig Jahre zuvor hatte Großvater Augusto Mendes, auf der Suche nach dem einfachen Leben, seinem Freund Policarpio dessen verfallenes Haus in einem abgelegenen Gebirgsdorf Zentralportugals abgekauft und sich dort als Arzt niedergelassen. Er hatte damals dem Freiheitskämpfer Celestino bei sich Unterschlupf gewährt, ihm mit einem Glasauge neuen Lebensmut gegeben, aber jetzt hat ihn das Schicksal doch noch erreicht, er wird ermordet aufgefunden. Es gehört zu den Eigenarten dieses fragmentarisch erzählten Romans, dass auch diese nur unvollständig skizzierte Episode gleich zu Beginn erst ganz am Ende noch mal kurz erwähnt wird, Näheres erfährt man auch dort nicht. Von Policarpio wiederum bekommt Augusto jedes Jahr einen Brief, lückenlos vierzig Jahre lang, er schreibt aus aller Herren Länder, von allen Kontinenten, und führt offensichtlich ein abenteuerliches Leben.
Diese Briefe bilden eine lose Klammer im Plot und spielen auch am Ende eine Rolle, tragen ein wenig bei zu Klärung offener Fragen, von denen es viele gibt in diesem Roman. Zentrale Figur darin ist Duarte, Enkel von Augusto Mendes, ein lebensuntüchtiger Außenseiter, gleichzeitig aber auch musikalisches Wunderkind. Sehr bald aber wendet er sich von Mozart ab, mag irgendwann dann auch Beethoven nicht mehr, zuletzt sogar Bach. Er hasst plötzlich die Musik, hasst sein pianistisches Talent, kann dem dadurch entstandenen Erwartungsdruck nicht standhalten und beendet abrupt seine Karriere. «Nicht ich habe angefangen, Klavier zu spielen. Das waren meine Hände» erklärt er lapidar seinen Sinneswandel. Sein Vater Antonio wiederum kehrt als psychisches Wrack aus dem Kolonialkrieg in Afrika zurück und ist erstaunt, dass seine Frau ihn mit dem kleinen Duarte am Kai erwartet.
Episodenhaft präsentiert Pedro uns ein wahres Labyrinth an Erinnerungsspuren in wunderbar poetischen Bildern, jedes Kapitel hat bei ihm seinen eigenen Stil. Ein schönes Beispiel dafür ist die berührende Episode der beinamputierten Malerin mit dem blauen Kopftuch, die sich in dem Ölgemälde «Der Kampf zwischen Karneval und Fasten» von Pieter Bruegel wiedererkennt. Eine spezifisch portugiesische Melancholie, erklärt der fabulierfreudige Autor, «die wir Saudade nennen und welche die Menschen prägt», kennzeichne seine Prosa. Zuweilen aber fällt sie auch dezent ironisch aus und ist dann amüsant zu lesen, auch wenn sie mir sprachlich nicht immer wirklich gelungen erscheint. Durch eine extrem fragmentarische Erzählweise, kryptische Anspielungen und komplizierte Verschachtelungen des Plots entstehen störende Verständnislücken, die auch mit viel Phantasie und Intuition kaum zu füllen sind. Zum Klassiker dürfte dieses eigenwillige Werk wohl kaum taugen!
Fazit: lesenswert
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