Weniger wäre mehr gewesen
Surreales in Prosa zu übertragen scheint das spezielle Anliegen von Heinrich Steinfest zu sein, dessen Roman «Der Allesforscher» es unter die Finalisten des Buchpreises 2014 geschafft hat. Im Vergleich zu den fünf anderen Werken der Endrunde von Sujet und Stil her eine saloppe, populistische Prosa, die sich beim Leser anbiedert gleich von den ersten Zeilen an, und die ihn dann nicht mehr loslässt bis zum Epilog. Wen wundert’s auch bei einem Autor, der viele erfolgreiche Krimis geschrieben hat! Im Unterschied zum magischen Realismus als literarischer Form allerdings sprechen bei Steinfest keine Tiere, sie explodieren allenfalls wie der Pottwal gleich zu Beginn. Die Handlung bleibt durchweg realistisch, im Bereich des Möglichen also, Überirdisches ist in diverse Traumsequenzen ausgelagert, die gegen Ende des Buches dann einen ziemlich breiten Raum einnehmen.
Sixten Braun, der Held der Erzählung, erfolgreicher IT-Manager auf Geschäftsreise, wird nach einem aberwitzigen Unfall auf Taiwan von Dr. Lana Senft behandelt, man kommt sich auch privat näher. Auf dem Rückflug von Japan stürzt seine Maschine ab, er überlebt, kehrt nach Deutschland zurück, heiratet seine Verlobte und tritt in deren Vaters Firma ein, wird aber schon zwei Jahre später wieder geschieden. Er sattelt beruflich um und wird Bademeister. Eines Tages erreicht ihn ein Anruf der taiwanesischen Vertretung, er erfährt, dass Lana gestorben ist und einen Sohn hinterlassen hat, dessen Vater er vermutlich sei. Der siebenjährige Junge hat zwar unverkennbar chinesisches Aussehen, er adoptiert ihn trotzdem. Simon ist autistisch, ist einerseits ein hervorragender Kletterer und ebenso guter Zeichner, spricht aber in einer von niemandem verstandenen Sprache und ist auch nicht in der Lage, neue Wörter zu lernen, die Kommunikation mit ihm bleibt auf Gesten beschränkt. Kerstin, die Angestellte in der Vertretung Taiwans, und Sixten beginnen schon bald eine Beziehung, sie zieht bei ihm ein und kümmert sich ebenfalls um Simon.
In einem eingeschobenen Nebenstrang wird die Geschichte des Chinesen Auden Cheng erzählt, einem erfolgreichen Hersteller exklusiver Kosmetikprodukte, der sich mannhaft gegen mafiöse Übernahmeversuche großer Konzerne wehrt, nach einem bewaffneten Überfall aber plötzlich die Gefahr sehr ernst nimmt und abtaucht, eine neue Identität annimmt und alle Spuren hinter sich verwischt. Er hatte längere Zeit ein Verhältnis mit der Ärztin Lana, bis Sixten auftauchte. Beim Showdown in der Bergwelt Tirols, bei einem gemeinsamen Ausflug zu dem Gipfel, an dem Sixtens Schwester beim Bergsteigen ihr Leben verlor, treffen die beiden Liebhaber Lanas schließlich aufeinander, ohne voneinander zu wissen, und der Autor belässt es auch dabei.
Logik ist kein Kriterium, das Steinfest bremst in seiner im freundschaftlichen Plauderton erzählten, sprachlich verspielten Geschichte mit ihren geradezu hanebüchenen Wendungen. Er reiht slapstickartig groteske Bilder aneinander, erfindet immer irrwitzigere Szenerien, all das garniert mit wohlfeiler Alltagsphilosophie, die nicht selten ins Banale abgleitet. Eine unkonventionelle Sicht auf die Welt und ihre scheinbaren Realitäten ist prinzipiell ja durchaus bereichernd und wird von mir als Leser auch freudig goutiert, erscheint hier aber allzu aberwitzig konstruiert. Dieses literarische Konstrukt erreicht seinen peinlichen Höhepunkt in den unsäglichen Traumgeschichten, die mich ebenso gestört haben wie der hymnische Alpinismus am Ende der Geschichte. Mit seinem fast lakonischen Duktus ist dem Autor der ambitionierte Versuch, von ihm erdachte extreme Situationen und seltsam skurrile Figuren in einen realistisch erzählten Plot einzubauen, grandios danebengelungen. Das nervt regelrecht mit zunehmender Lesezeit, weniger wäre hier wirklich mehr gewesen, schade eigentlich!
Fazit: mäßig
Meine Website: http://ortaia.de