Eine runde Sache

Absolut keine runde Sache

Als Gewinner ist Tomer Gardi mit seinem Roman «Eine runde Sache» die große Überraschung der diesjährigen Leipziger Buchmesse. Erstmals wurde hier auch ein Buch prämiert, dessen etwas umfangreicherer zweiter Teil auf Hebräisch geschrieben wurde und den man folglich nur in Übersetzung lesen kann. «Mein Grundkonzept hinter diesem Roman war, dass ich wissen wollte, wie unsere Sprachen unsere Fantasie beeinflussen» erklärte der Autor dazu. Die Jury sprach euphorisch von einem «Feuerwerk der Einbildungskraft», das «ebenso dreist wie kunstvoll mit den Lesegewohnheiten spiele». Es fragt sich nur, inwieweit dieses feuerwerkartige Spiel auch diejenigen erfreut, auf deren Kosten es geht, die überraschten Leser nämlich.

«Ein Mann rutscht auf eine Scheibe Salzgürke aus, stürzt nieder auf seiner Arsch», beginnt slapstickartig und in ‹Broken German», dem für den Autor typischen Migranten-Deutsch, der erste, vom Museumswächter Tomer Gardi erzählte Teil des Romans. Er wird auf eine Yacht eingeladen, landet aber überraschend im Wald auf einer Jagd, bei der er selbst der Gejagte ist, der bissige Schäferhund Rex ist hinter ihm her. Es gelingt ihm, Rex zu überrumpeln und ihm die «Portable Vagina» über die Schnauze zu ziehen, die er gestern Abend in einem Pissoir aus dem Automaten gezogen hat. Der Hund protestiert wütend, Tomer aber tut so, als habe er ihn nicht verstanden. «Dü Plüstükfützü! Nüm sü jützt vün münür Schnützü rüntür!» «Das ist keine Plastikfotze, Rex. Das ist dein Maulkorb» antwortet Tomer. «Ürzühl mür kün Schüß!» Wie bei den Bremer Stadtmusikanten schließt sich ihnen bald auch der tote Erlkönig an, der nur in altmodischen Reimen spricht. Im allegorisch benannten Bad Obdach versucht das hungrige Dreigespann durch Singen etwas Geld zu verdienen, wird bald schon von einer freundlichen Oma (oder Hexe?) zum Essen eingeladen und erlebt schließlich auch noch die Sintflut. Es gelingt aber nur Tomer Gardi, sich auf die Arche Noah zu retten, ehe er am Ende wieder auf den Intendanten trifft, der am Anfang auf der «Salzgürke» ausgerutscht ist.

Im zweiten, stilistisch konventionellen Teil des Romans wird die Geschichte des realen indonesischen Malers Rahden Saleh von der Insel Java erzählt, der im 19ten Jahrhundert zur Ausbildung nach Europa reiste, schnell berühmt wurde und in den höchsten Kreisen verkehrte. Als er auf Wunsch des Königs Jahrzehnte später in die niederländische Kolonie zurückkehren musste, war er dort als Einheimischer plötzlich nicht mehr privilegiert und erlebte einen bitteren sozialen und künstlerischen Abstieg. Diese gut recherchierte Lebensgeschichte bietet historisch aufschlussreiche Details aus der Kolonialzeit, wobei die Leser aber mit einer Fülle von Figuren konfrontiert werden, von denen die meisten nie etwas gehört haben dürften. Das trägt nichts zur Sache bei, sondern stört nur den Lesefluss!

Im Grunde sind es zwei Romane, die man da liest. Deren einzige Verbindung kann dahingehend interpretieren werden, dass hier zwei Künstler, durch mehr als ein Jahrhundert getrennt, auf Identitätssuche in ihren unterschiedlichen Kunstgattungen geschildert werden. Einerseits die Romanfigur des ehemaligen Schriftstellers und Museumswächters Tomer Gardi im ersten, als Schelmenroman angelegten Teil, andererseits der von höchstem Ruhm verwöhnte Maler, der am Ende völlig desillusioniert auf Nimmerwiedersehen in den Weiten einer javanischen Kaffeeplantage verschwindet. Dabei werden auch die Mythen vom Ewigen Juden und vom Fliegenden Holländer mit einbezogen. Das wird im märchenhaften ersten Teil durch das wohl auch real vorhandene, hier mutmaßlich aber übertrieben stümperhafte Deutsch des israelischen Autors symbolisiert, im historischen zweiten durch die Zerrissenheit des Malers zwischen den unterschiedlichen Kulturen von Orient und Okzident. Die verhaltene Rezeption der Leserschaft ist mehr als deutlich: Eine runde Sache, zusammenpassend und preisträchtig also, ist dieser seltsame Roman keinesfalls!

Fazit: mäßig

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Genre: Roman
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Das Polykrates-Syndrom

Der ungewöhnlich vielseitige österreichische Schriftsteller, Essayist und Dramatiker Antonio Fian, Meister der kleinen Form, hat 2014 mit «Das Polykrates-Syndrom» nach 22 Jahren seinen zweiten Roman veröffentlicht. Er wurde für den Deutschen Buchpreis nominiert und war 2019 Basis für den Spielfilm ‹Glück gehabt›. Der Titel des ursprünglich als Drehbuch geplanten Romans weist auf den Tyrannen von Samos hin, von dem Herodot überliefert hat, er habe in seinem Leben so viel Glück gehabt, dass er am Ende einen grausamen Tod sterben musste. Schiller thematisiert dies in seiner berühmten Ballade mit der idealisierenden These, je größer das Glück, desto tiefer ist der nachfolgende Absturz. Im Roman nun erlebt ein junges Ehepaar, wie über ihren wohlgeordneten Alltag schicksalhaft ein schreckliches Geschehen hereinbricht.

Der weder ehrgeizige noch anspruchsvolle Historiker Artur jobbt in einem Wiener Kopierzentrum, verdient sich zusätzlich Geld mit Nachhilfestunden und schreibt nebenbei ziemlich platte Sketche, die keine Sendeanstalt haben will. Seine Frau Rita hingegen ist als Lehrerin auf der Erfolgsspur und hat gute Aussichten, schon in wenigen Jahren die jüngste Direktorin einer Wiener Schule zu werden. Als Ich-Erzähler schildert Artur detailreich und mit köstlichem Humor, wie er in seiner monotonen Ehe häufigen Vorwürfen durch seine burschikose Frau ausgesetzt ist. Der sympathische Schluffi erträgt all das aber äußerst gelassen, er kennt ihre Psyche und weiß immer im Voraus, womit sie ihn nun wieder gängeln wird. Aber die beiden wissen sehr wohl auch, was sie aneinander haben, und so findet zu guter Letzt denn auch regelmäßig eine Versöhnung im Bett statt. Mit dem Besuch einer attraktiven jungen Frau im Copyshop kurz vor Ladenschluss beginnt für den sympathischen Protagonisten Artur ein aufregendes Abenteuer, welches sich im Verlauf der Handlung zu einem wahren Höllenritt entwickelt.

Der in den 1990er Jahren angesiedelte Plot hat die Zäsur in Arturs Leben zum Thema, schicksalhaft heraufbeschworen durch das Zusammentreffen mit der hübschen Alice. Denn eher harmlos als draufgängerisch veranlagt, steigt der brave Langeweiler nun plötzlich dieser geheimnisvollen Frau nach, einzig beseelt von dem Wunsch, sie ins Bett zu bekommen. Was ihm schließlich auch gelingt, sein erster Fehltritt nach mehr als zehnjähriger Ehe. Dieser für ihn überraschende Ausbruchsversuch krempelt sein ganzes Leben um und entwickelt sich zum Alptraum. «In der kurzen Zeit, in der ich Alice kannte, hatte ich mich völlig verändert. Ich betrog meine Frau, belog meine Mutter, leistete Beihilfe zum Diebstahl, schaffte Leichen weg und hatte keinen anderen Gedanken, als dass Alice bald wieder mit mir schlafen würde». Die zunächst harmlos dahinplätschernde Geschichte wird zunehmend spannender und absurder und endet sehr gekonnt, – überraschend, aber völlig unspektakulär.

Diese mit viel schwarzem Humor locker erzählte Geschichte ist als Parodie auf einen Ehebruch konzipiert, der durch seine drastischen Details satirisch kräftig überhöht wird und in einigen Horror-Szenen einem Splatter-Roman gleichkommt. Besonders gelungen und immer wieder zum Schmunzeln, aber auch zum lauten Lachen anregend sind die pointiert angelegten, schlagfertigen Dialoge, die als verbale Fechtkunst mit ihren geistreichen Wortattacken geradezu lustvoll ausgefochten werden. Das anschaulich geschilderte Wiener Lokalkolorit bereichert wirkungsvoll diesen gut durchdachten Totentanz, der als Mischung aus Grauen und Humor auffallend nüchtern erzählt wird. So wenn zum Beispiel über Arturs Versicherungen berichtet wird, dass er sie nur abschließe, weil er meint, dann würde ja ganz im Sinne der Assekuranz wahrscheinlich niemals mehr etwas passieren. Und was genau denn Sex in Eichhörnchen-Stellung ist, darüber lässt der Autor den Leser listig im Dunkeln. In dieser burlesken Story wird lakonisch Pointe auf Pointe abgefeuert, Antonio Fian lotet gewissermaßen die Grenzen seiner abgründigen Geschichte bis zur Neige aus.

Fazit: lesenswert

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Genre: Roman
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Echos Kammern

Ziel erreicht

Wohl dem Leser, der wie die Schriftstellerin Iris Hanika in der Sprache das beste Mittel sieht, die Gegenwart auszuhalten, wie sie im Interview erklärte, und mit Sprache spielt sie dann auch gleich sehr virtuos in ihrem neuesten Roman «Echos Kammern», wovon schon der Titel kündet. Ovid berichtet in seinen «Metamorphosen» von Narziss, dem in sein eigenes Spiegelbild verliebten Schönling, dem die Nymphe Echo, die nie ein eigenes Wort sagen kann und immer nur wiederholt, was der andere sagt, mit Haut und Haaren verfällt. Und so ist denn dieser Roman in seinem zweiten Teil auch ein diesem griechischen Mythos folgender Liebesroman, im ersten Teil jedoch erinnert er an den grandiosen New-York-Roman von John Dos Passos, er beschreibt fast hundert Jahre später das heutige urbane Leben in dieser faszinierenden Metropole.

Die fünfzigjährige Dichterin Sophonisbe aus Berlin, bekannt geworden durch ihren Gedichtband «Mythen in Tüten», reist zum Big Apple, um sich für ein neues Buchprojekt inspirieren zu lassen. Sie durchstreift die Stadt und notiert ihre Eindrücke in der 1925 erfundenen, deutsch-amerikanischen Kunstsprache ‹lengevitch›: «Ich will berichten von was ich habe gesehen und was ich habe erlebt in New York City, aber nicht in ganze Stadt New York, sondern nur in Stadtteil Manhattan …». Schon am zweiten Tag landet sie, einer seltsamen schwarzen Gestalt folgend, die sich schon bald als ihr ureigener Engel entpuppt, auf einer Party bei der Pop-Ikone Beyoncé. Dort lernt sie Josh kennen, einen ungewöhnlich schönen jungen Amerikaner, der an einer Dissertation über eine wissenschaftlich bisher vernachlässigte Periode der ukrainischen Geschichte arbeitet. Mit ihm zusammen besucht sie später auch alte Berliner Freunde, die eine feudale Wohnung in dem angesagten Wohnquartier Upper East Side besitzen. Durch Vermittlung dieses Paares findet sie dann auch Ersatz für ihre winzige Berliner Wohnung, die etwa gleichaltrige Roxana in Berlin, erfolgreiche Autorin von Ratgeberbüchern, suche jemanden, der zu ihr passt und in ihre riesige Altbauwohnung mit einziehen wolle. Im zweiten Teil des Romans wird von der ebenso desaströsen Gentrifizierung auch in dieser Großstadt berichtet, und als Josh schließlich zu Besuch kommt, verliebt sich Roxana prompt unsterblich in den langweiligen Schönling, der selbstverliebt darauf überhaupt nicht reagiert.

Gemeinsam ist beiden Städten, dass sie, angefeuert durch die Finanzkrise und die nachfolgende, nach Anlagemöglichkeiten suchende Geldschwemme, Stadtteil für Stadtteil einem permanenten Aufwertungsdruck ausgesetzt sind. Diese Viertel werden einerseits immer feudaler, verlieren gleichzeitig aber auch ihr besonderes Flair, werden unbezahlbar, verdrängen die ursprüngliche Bevölkerung und veröden letztendlich. Was hier nüchtern geschildert wird, ist im Roman durchaus streitbar und mit an Zynismus grenzender Ironie beschrieben, die oft sehr amüsant ist. Dem schließt sich die unerfüllte Liebesgeschichte an, wobei nicht erkennbar ist, was die beiden Romanteile thematisch verbindet, die Motive erscheinen völlig willkürlich aneinander gereiht.

Die Autorin treibt in heiterem Tonfall ein virtuoses Spiel mit verschiedenen Erzählstimmen, die das teilweise bizarre Geschehen distanziert beschreiben. Ihrer Figur Josh fehlt die Selbstverliebtheit von Narziss, die liebestolle Roxana wiederum kann sich im Gegensatz zu Echo sehr wohl sprachlich frei ausdrücken, und Sophonisbe muss anders als ihre antike Namensgeberin keinen Giftbecher trinken. Diese Anspielungen auf die mythologischen Vorbilder wirken allesamt wie intellektuelle Selbstbespiegelungen einer eitlen Autorin. Echokammern dienen in der Akustik der Verstärkung des Halls, ob dies analog hier im Roman auch literarisch funktioniert, darf für beide bedienten Genres mit Fug und Recht bezweifelt werden, für den New-York-Teil ebenso wie für die Liebesgeschichte. Ihr erklärtes Ziel, mal etwas völlig Sinnloses zu schreiben, hat Iris Hanika jedenfalls erreicht.

Fazit: miserabel

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Genre: Roman
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Herrmann

Herrmann. Der Studienabbrecher Herrmann (mit zwei r und zwei n) hat sein halbes Leben als Bereichsleiter in seiner Firma verbracht: 22 Jahre, vierte Managementebene. Sein Gegenentwurf ist sein Freund Orban, der nach Auslandsaufenthalten eine Laufbahn im Bankwesen einschlug. Aber seit der jüngsten Bankenkrise gäbe es auch an Bankern nichts mehr zu bewundern, wie Herrmann lakonisch kommentiert. Dreißig Jahre lang haben sie sich nicht mehr gesehen.

Herrmann oder Überdosis Fürsorge

Das komplizierte Beziehungsgeflecht, das die Autorin im nach ihrem Protagonisten benannten Roman entwirft, ist von der sog. Midlifecrisis geprägt, denn alle seine Kollegen und Freunde – weiblich oder männlich – befinden sich in so einer. Herrmann ist von Rieke getrennt und lebt allein. Aber er geht gerne in die Natur, denn dort fühlt er sich sehr wohl. Oder beim Hirschragout von der Mutter. Als er endlich umzieht – auf die andere Straßenseite – wird Herrmann „von der Vorstellung verfolgt, in seinen eigenen Wänden wobei auch immer ertappt zu werden“. Die behütete Obhut seiner Familie ist im Grunde genauso ein Gefängnis wie sein Job. So beschließt er etwa zu Hause immer Pyjama zu tragen, was beim Abendessen bei der Mutter aber wieder zum Gesprächsthema führt, worin seine Mutter ihm die Schlafanzüge seines Vaters und Großvaters antragen wird: Eine Qualität, die man heute gar nicht mehr erzeuge, so seine Mutter. „Denken durfte er, was er wollte, aber eines Tages würde das zunehmend unberechenbare Getöse in seinem Kopf der Außenwelt zu Ohren kommen“.

Der Baron, der Blade und der Behinderte

Würde er der Familie den Zutritt verwehren, allein sein, seine Ruhe haben wollen, die Familie würde ihn für krank oder gefährdet halten und umso entschlossener vordringen, den Cousin herbeirufen und ab sofort auch Orban.“ „Going postal“ nannte man die zwischen 1986 und 1997 in den Postämtern der USA sich häufenden Amokläufe, erklärt die Autorin in einem weiteren Einschub, den sie auch schon zur Jägersprache – nicht Jägerlatein – machte. Diese Maladie würde durch Stress bei der Arbeit ausgelöst werden, ein Umstand von dem Herrmann wohl nur träumen kann. Herrmann teilt eben das Schicksal vieler Mitvierziger: „Die saure Übelkeit in der Kehle überraschte ihn nicht, wenn er sich nicht leiden konnte, schlug ihm das auf den Magen, ihm wurde sozusagen von sich selber schlecht.“ An einer Stelle bringt die Autorin das soziale Leben ihres Protagonisten auf den Punkt: „Der Baron, der Blade und der Behinderte“ schreibt sie in Anlehnung an Sergio Leones Westernklassiker „The Good, the Bad and the Ugly“.

Bettina Gärtner, die 1962 in Frankfurt am Main geboren, aber seit frühester Kindheit in Wien lebende, hat eine Milieustudie verfasst, die den Protagonisten Herrmann vom Herrmanngefühl zum Fuchsgefühl führt. Die Zwischenkapitel Myokarditis, Blutdruck, Logbuch PRO, Jägersprache, Going Posta, Liedgut I , Blaze und Liedgut II wurden dem Internet entnommen und teilredigiert. An den Textpassagen sei nichts erfunden, ihre Bearbeitung und Zusammenstellung im Hinblick auf Lesbarkeit, Scheinrelevanz und Unterhaltungswert seien Authentizitätsfake (Hervorhebung durch BG) im Sinne der Fiktion. „Die meisten Vorboten erkennt man erst im Nachhinein“.

Bettina Gärtner
Herrmann. Roman
2020, Hardcover, 288 Seiten
ISBN: 9783990590485
Literaturverlag Droschl


Genre: Roman
Illustrated by Droschl

Eins im Andern

schwitter-1Wahrlich nichts Neues

Mit ihrem zweiten Roman «Eins im Andern» hat die Schweizer Schriftstellerin Monique Schwitter sich dem vermutlich beliebtesten Genre der Belletristik zugewendet, dem Liebesroman. Wie die Rezeption zeigt, durchaus erfolgreich, ihr Buch wurde mit dem Schweizer Buchpreis 2015 ausgezeichnet und schaffte es unter die Finalisten des Deutschen Buchpreises. Man merkt ihrer Prosa die ehemalige Regisseurin an, ihr Plot ist einem Bühnenstück ähnlich inszeniert, alle Details sind wohlüberlegt so gefügt, dass sie ineinandergreifend, «Eins im Andern» also, etwas bewirken sollen im Leser. Was nicht leicht ist bei einem literarisch derart überstrapazierten Thema wie der Liebe. Die Ich-Erzählerin ist hier übrigens identisch mit der Autorin. Sie habe, wie sie in einem Interview erklärte, sich für das Verhältnis von Leben und Schreiben interessiert, die Verschränkung von Erinnerung und Gegenwart, außerdem habe sie die Herausforderung gereizt, das eigene Leben in Echtzeit zu erzählen.

Der Leser ist also permanent Zeuge bei Schwitters Schreibprozess, der damit beginnt, dass sie im Internet nach ihrer ersten Liebe sucht und erschrocken feststellt, das Petrus sich vor fast fünf Jahren schon durch einen Sprung aus dem Fenster das Leben genommen hat. In zwölf den Aposteln entsprechenden Kapiteln handelt die Autorin im Folgenden ihre Beziehung zu zwölf Männern ab, deren letzter, wie könnte es anders sein, ihr Ehemann ist, Vater ihrer beiden Kinder, der mit seiner krankhaften Spielsucht die Familie ruiniert hat auf lange Zeit. Ein Liebesreigen also, in dem sie alle Männer in ihrem Leben Revue passieren lässt, Geschichten erzählt über Freunde, Flirts und ehemalige Liebhaber. Es sind wunderliche Gestalten darunter wie der Selbstmörder Petrus, der sie mit ihrer besten Freundin betrogen hat, dessen Bruder Andreas, den eine Ratte in die Lippe beißt, Thomas, der nach einer Lesung per E-Mail Kontakt mit ihr aufnimmt und sich als Masochist entpuppt, der zwei Datingseiten im Internet unterhält, aber auch der verlebte alte Regisseur, den sie im Restaurant sieht, was sie an die Sadomaso-Spiele erinnert, die er einst mit ihr getrieben hat, als sie noch Studentin war. Es gibt auch harmlose Flirts wie der mit einem siebzehnjährigen, adonisartigen Schüler oder die rein freundschaftliche Beziehung zu Nathanael, dem homosexuellen Freund der Familie. Im letzten Kapitel erfahren wir schließlich, dass ihre größte Liebe ihr an Krebst verstorbener Bruder war.

Wer als Leser nun erwartet, dass die Autorin mit Hilfe dieses Liebeskarussells den Bindekräften der Liebe im engeren Sinne, also der zwischen Mann und Frau, auf die Spur kommt, dem Ganzen eine Essenz abzugewinnen vermag, der wird leider enttäuscht. Ihre weibliche Sicht auf die Männer bringt keine Klarheit darüber, was diese denn auf Frauen anziehend macht, sieht man vom Sexuellen ab, das in diesem jugendfreien Roman allerdings ausgeblendet ist, wie auch die Romantik einer Liebesbeziehung nicht thematisiert wird. Die Autorin schildert stattdessen immer wieder das innige Verhältnis zu ihrem Hund, was man dahingehend deuten mag, der Hund sei ihr letztendlich der bessere Freund, dem Manne insoweit überlegen.

Erzählt ist Schwitters Geschichte in einer humorfreien, sachlichen Sprache, im Stil wechselnd bei den Rückblenden auf die relevanten Episoden ihres Lebens, in denen auch der Tod seinen Platz hat. Die Psyche ihrer Figuren ist glaubwürdig dargestellt, im Streben nach biografischer Authentizität schleichen sich allerdings Banalitäten ein, die in dem leitmotivisch eingebauten Schuhthema gipfeln, der Vorliebe der Autorin für hohe Riemenpumps, das sich vom Winterspaziergang im ersten Kapitel bis hin zum kitschigen Schluss des Romans erstreckt. Bei dem sie dann wieder, mit Hund natürlich, einen Winterspaziergang macht, diesmal allerdings in robusten Stiefeln. «Ich habe gehen gelernt» heißt es im letzten Satz. Wahrlich nichts Neues, was man bis dorthin gelesen hat zu einem uralten Thema.

Fazit: mäßig

Meine Website: http://ortaia.de


Genre: Roman
Illustrated by Droschl