Der Kurfürstendamm Geschichte des Berliner Boulevards

Dass der Ku’damm seine Glanzzeiten hinter sich hat, wusste die Autorin, als das Buch 2021 erschien, und hofft: „Die Mitte der City-West könnte wieder ein Zentrum des Berliner Lebens werden—anders vielleicht als einst, aber doch aufregend und liebenswert. Der Kurfürstendamm hätte es verdient.“

Davor geht es auf über 200 reichbebilderten Seiten um die Glanzzeiten, beginnend mit der Entstehung vor 150 Jahren. „Vom Knüppelpfad zum Prachtboulevard“, zum Treffpunkt der Berliner Bohème, und nach dem Abbau im Nationalsozialismus wieder zum Schaufenster des Westens.

Dazu gibt es viele Gemälde, zeitgenössische Postkarten, aber auch Fotos, etwa mit von Bismarck hoch zu Pferde: Er hatte sich brieflich an den König gewandt, er möge die Verbindung vom Schloss nach Potsdam verbessern, vielleicht auch, weil ihn seine täglichen Ausritte dahin führten.

Das Buch ist umfassend recherchiert mit Quellenangaben, flott geschrieben, immer wieder mit balinahten Einschüben. Neben den Abbildungen erfreuen auch die Zitate der Zeitgenossen: Mit den Gründerjahren kommen die „Geldsackgesinnung“ wie Fontane schreibt: “Die Stadt wächst und wächst, die Millionäre verzehnfachen sich…“

Damals war Paris das Vorbild, der Kurfürstendamm sollte die Pracht der Champs-Elysées bekommen, aber das Kaiserreich war nicht in der Lage, sich finanziell zu beteiligen, es reichte nur für die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, die dann 1895 mit Pomp und Gloria eröffnet wurde. Fortan ließ man sich dort trauen, bis zu sechs Trauungen pro Tag gab es. Die Häuser wurden von den Geldsäcken gebaut, jedes nach dem Geschmack des jeweiligen Bauherrn.

Im zwanzigsten Jahrhundert entwickelten sich die Stätten der Künste: Die Maler der Sezession hatten ihre Treffpunkte, die Künstler Bohème ihre Cafés: das Café des Westens, das Café Größenwahn und später das Romanische Café. Dazu empfehle ich das Büchlein von Geza von Cziffra, Das Romanische Café.

Nicht jeder Künstler der Bohème konnte sich die Cafébesuche leisten, vielen wurden von Sponsoren unterstützt, oft waren es jüdische Geschäftsleute. „Unser Hintern fährt dritte Klasse, unser Haupt ragt über die Wolken“ sagt einer von ihnen.

Die westlichen Teile des Kudamms, auch als „Neuer Westen“ bezeichnet, zogen andere Menschen an als der vom wilhelminischen Staat geprägte Boulevard Unter den Linden.

Mit dem Aufkommen der „Kultur als Massenwaren“ wurden die großen Lichtspielhäuser um die Gedächtniskirche herum gebaut. Die prominenten Schauspieler/innen kamen und konnten vom Publikum gesehen werden, auch Zarah Leander und Astrid Nielsen. Ein anderer Zweig blühte ebenfalls: die Kabaretts und kleine Bühnen.

Nach der russischen Revolution kamen ab 1919 über zwei Millionen Emigrant/innen nach Deutschland, davon 300 000 nach Berlin, man sprach von Charlottengrad, manche träumten weiter vom Zarentum, in andere Richtungen gingen die Pläne der Künstler.

Die träumten eher von New York, vor allem Brecht und Grosz. Dieser suchte dort sein Künstlerglück und ging schon 1932, also vor dem Nationalsozialismus. (Das steht zwar nicht im Buch!)

Bis zur Olympiade 1936, wurde der Berliner Westen geduldet, auch weil viele Diplomaten und ausländische Journalisten dort lebten, die alle namentlich aufgeführt werden. Danach kam dann der Totalitarismus, die Trefforte der Szene wurden geschlossen.

Als gebürtige Westberlinerin habe ich den Kudamm der Nachkriegszeit als „Schaufenster des Westens“ kennengelernt, die Kaffeehäuser waren nun gut bürgerlich, die Mode elegant und mondän, zwei Theater und jedes Jahr die Filmfestspiele. In den Sechzigern dann Studentenproteste mit Wasserschlachten.

Jetzt lese ich bei Frau Stürikow, dass es in den achtziger  Jahren eine Kommission unter Volker Hassemer gegeben hatte, die die verblassende Strahlkraft erhöhen sollte. Einen Höhepunkt gab es dann noch: 1989 beim Mauerfall, wo die Bürger aus der DDR sich die Konsumtempel angucken wollten. Zum Kaufen reichte das Begrüßungsgeld dann aber nicht. Inzwischen, nach Corona, noch mehr Leerstand, nur Ketten können bestehen. Und 2023 will der Senat die weihnachtliche Beleuchtung nicht mehr unterstützen…

Vieles Bekanntes liest man gerne noch einmal und auch Neues, nun weiß ich, warum ein Teil in Budapester umbenannt wurde. Und die Lebensgeschichte von Jeanne Mammen, von der auch zwei große Gemälde abgebildet sind.


Genre: Berlin Geschichte, Der Kurfürstendamm Geschichte des Berliner Boulevards, Unterhaltungskultur
Illustrated by Elsengold