Die linke Hand der Dunkelheit

Androgynität

Der Terraner Genly Ai hat eine besondere Aufgabe: Er soll neue bewohnte Planeten für die Ökumene, ein Weltenkollektiv, erkunden und bestenfalls für eine Erschließung vorbereiten. Um die Bewohner nicht in Alarmzustand zu versetzen, schickt das Team immer nur einen Menschen zur Erforschung auf den Planeten. Die anderen Teammitglieder verbringen die Zeit in einem künstlichen Schlaf, bis Leute wie Genly für sie Entwarnung geben. Seine Arbeit ist gefährlich, denn nicht alle Regierungen sind offen dafür, einem neuen und viel größeren System angegliedert zu werden.

So geschieht es auch mit Winter, einem Planeten, dessen Name Programm ist: Die eisigen Temperaturen auf dieser Welt erschweren Leben. Aber die Menschen dort haben sich angepasst. Eine dickere Fettschicht und eine kleinere Statur bieten weniger Angriffsfläche für Kälte. Das ist aber nicht das einzig Besondere an diesem Menschenschlag. Das, was die Menschen von Winter von allen anderen unterscheidet, ist ihr Geschlecht – sie sind Neutren. Nur einmal im Monat, in der sogenannten Kemmer, bilden sie ein Geschlecht aus. Das ist je nach Situation entweder männlich oder weiblich. Den Rest des Monats haben sie keinelrei Geschlechtsmerkmale und empfinden keine sexuellen Gefühle. Menschen, die dauerhaft ein Geschlecht ausgebildet haben, sind eher selten und gelten als pervers. Damit und mit seiner außerirdischen Herkunft hat Genly den Status eines Sonderlings, und die Herrscher*innen wissen nicht so recht, wie sie mit ihm verfahren sollen. Estraven, Berater*in der König*in des Köngreichs Karhide, will dem Außsenseiter helfen, weckt aber durch undurchsichtiges Verhalten Genlys Misstrauen. Schließlich wird Estraven verbannt und Genly muss ebenfalls um sein Leben fürchten. Er flieht aus Karhide und landet im technisch hoch entwickelten Nachbarland Orgoreyn, das extrem bürokratisch organisiert und als Überwachungsstaat aufgebaut ist. Trotz anfänglicher Sympathie wird Genly schließlich in ein Arbeitslager gesteckt, in dem er sterben soll. Man befürchtet, dass das System durch Genlys Existenz ausgehebelt werden könnte. Ausgerechnet Estraven rettet ihn und beide wagen eine lebensgefährliche Wanderung über das ewige Eis. Sie wollen eine Funkstation erreichen, von der aus Genly sein Raumschiff kontaktieren kann.

Wie benennt man Neutren? Gendergerechte Sprache

Der o.g. Roman erschien erstmals 1969 und gehört zum Hainish-Zyklus der Autorin. Die Hainish waren die ursprünglichen Menschen, die z.T. genetische Experimente auf verschiedenen Welten betrieben haben. Im Roman vermutet Genly Ai, dass auch an den Menschen von Winter Experimente betrieben worden sind. Der Roman ist einer der ersten feministischen SF-Romane und wohl der bekannteste, der das Thema Androgynität behandelt. Er entfaltet sich für die Leser*innen sehr langsam. Vieles wird vorausgesetzt oder erst recht spät erklärt, sodass man erst einmal im Trüben fischt, v.a. wenn man die anderen Romane des Zyklus nicht kennt. Trotzdem schafft es die Autorin die Leser*innen bei der Stange zu halten, weil man die Fragen, die sich auftun, beantwortet haben will und sie schließlich auch beantwortet bekommt. Außerdem will man wissen, wie es mit Genly und Estraven weitergeht und ob die Welt doch noch der Ökumene beitritt.

Die Autorin entfaltet konsequent eine Welt der Neutren, die für permanent geschlechtliche Wesen nur schwer nachzuvollziehen ist. Das fängt schon mit der Benennung an: Genly Ai bleibt durchgehend bei der vermeintlich neutralen männlichen Form, weil es eine adäquate für ein Neutrum nicht gibt. Er gibt aber auch zu, dass diese männliche Benennung unzutreffend und verfälscht ist, denn durch die Benennung sieht man die Neutren irgendwann tatsächlich eher männlich. Damit ist Ursula K. Le Guin hochaktuell, denn die Diskussion, ob das vermeintlich neutrale männliche grammatische Geschlecht die Frauen, die Hermaphroditen usw. mit einschließt, besteht bis heute. Im Roman wird die Antwort gegeben: Die männliche Form ist männlich und beileibe nicht neutral (s. 132). Das empfinde ich ebenso

Mit der angeblich neutralen männlichen Form werden die Männer und Jungen herausgehoben und alle anderen unsichtbar gemacht. Ich fühle mich definitiv in der männlichen Form nicht miteingeschlossen und bin aufgelebt, als Theologe Lothar Beck in seinen Büchern durchgehend die weibliche Form als Hauptform verwendet hat. Oder wie geht es Ihnen, wenn Sie folgendes lesen: Mehrere Ärzte bemühen sich um das Leben eines Patienten, der lebensgefährlich erkrankt ist. Einer der Ärzte ist im siebten Monat schwanger, ein anderer hat gerade seine Periode. Der Patient leidet an Brustkrebs. Im Roman heißt es: “Der König war schwanger.” (s. 139) Das finden die Gethenianer aus anderen Gründen komisch als der männliche Genly Ai. Anderes Beispiel mit den Schwierigkeiten einer korrekten Benennung im Roman: “Meine Zimmerwirtin, ein überaus wortreicher Mann” (S. 71).

Um die gendergerechte Schreibweise, die vielen als umständlich und unnötig gilt, noch weiter zu untermauern: Manche Hermaphroditen sind froh für das Sternchen zwischen der männlichen und weiblichen Form, weil dieses Sternchen sie endlich sichtbar macht! Und noch ein Argument: Am Anfang stehen die Gedanken. Und aus Gedanken folgen oft Taten, sowohl positive als auch negative. Ändert man das Denken, besteht eine große Chance, Taten zu ändern. In der Schrift und im Gesprochenen werden Gedanken sichtbar gemacht. Natürlich liegt noch vieles im Argen, was die Emanzipation nicht nur der Frauen anbelangt und sollte angepackt werden. Dabei aber die Wichtigkeit des Geschriebenen und Gesprochenen zu bagatellisieren, halte ich für falsch. Der Roman konfrontiert die Leser*innen somit konsequent mit der nicht akuraten männlich gehaltenen Schriftsprache, die permanent das Gefühl einer Schieflage vermittelt, zumal die Neutren oft anders handeln als das Personen mit permanentem (und männlichem) Geschlecht gewohnt sind.

Herrschaftssysteme

Der Roman stellt unter der Voraussetzung der menschlichen Neutren zwei Herrschaftssysteme vor, die beide nicht funktionieren: Monarchie und Überwachungsstaat. Die Monarchie krankt unter der Unfähigkeit von Herrscher*innen und einer starren Tradition. Der Überwachungsstaat erinnert an frühere und heutige Diktaturen und deren Systeme. Orgoreyn überwacht seine Bevölkerung bis in die kleinsten Einheiten. Der Staat ist über alles und jede*n informiert. Dieser Überwachung entkommt niemand, denn sie ist bis ins Detail ausgetüftelt und organisiert. Passt man sich dem Staat und seinen Gepflogenheiten an, hat man keine Probleme. Tut man das nicht, gibt es die Arbeitslager, die missliebige Personen zur Zwangsarbeit heranziehen und dabei sterben lassen. Genly landet in einem dieser Lager. Die Kinder werden den Eltern schon früh weggenommen und wachsen unter staatlicher Kontrolle und Beeinflussung auf.

In Karhide regiert ein*e unzurechungsfähige*r König*in. Diese*r wird als verrückt betitelt. In den Startlöchern steht ein*e Nachfolger*in, die nur die eigenen Interessen im Kopf hat. Die starre Tradition mit ihrem komplizierten Ehrenkodex verhindert Entfaltung, Verbesserung und Individualität. Estraven hofft, mit der Eingliederung von Winter in die Ökumene eine Verbesserung der Lebensverhältnisse auf dem Planeten zu erreichen. Krieg gibt es auf Winter zwar nicht – das ist nach Genly Ai eher eine männliche Verhaltensweise – aber es gibt Folter, Blutrache, Mord, Fehden und andere unschöne Dinge.

Roman in Form von Berichten

Der Roman wird in der Ich-Form erzählt und wechselt zwischen den Berichten Genly Ais und Estravens Tagebucheintragungen ab. Bei Genlys Berichten sieht man nach und nach, dass die distanzierte Sichtweise schwindet und einer Sichtweise Platz macht, in der er sich mehr und mehr als Teil dieser Welt sieht. Das gipfelt darin, dass ihm seine eigenen Landsleute, die permanent weiblich oder männlich sind, fremd und unnatürlich vorkommen, als er sie wiedersieht. Das impliziert folgenden Gedanken: Der Mensch gewöhnt sich an alles – im Guten wie im Schlechten. Im Guten bedeutet das, dass Verbesserungen, die noch nicht als solche gesehen und bekämpft werden, irgendwann zur Gewohnheit und damit angenommen werden könnten.

Fazit

Tiefsinniger “Was wäre, wenn?”-SF-Roman von der Autorin von “Erdsee”, der sich der Frage widmet, wie eine Welt mit androgynen Menschen aussehen würde.


Genre: SciFi
Illustrated by Heyne München

Das Feuerzeichen – Rebellion

Das Feuerzeichen RebellionDie Welt in der Zukunft besteht aus Zwillingen. Diese sind zusammengestellt aus Omegas und Alphas. Die Alphas sind die perfekten Zwillinge, die alle Vorteile und Privilegien genießen. Die Omegas sind der schlechtere Teil der Zwillinge, behaftet mit einem körperlichen Makel, der sie zu einem Menschen zweiter Klasse macht und zu Ausgestoßenen, die nichts in der Welt der Alphas zu suchen haben. Aus diesem Grund werden sie von den Eltern in Omegabezirke verstoßen, wo sie in Armut an der untersten Grenze der Gesellschaft ihr Leben fristen.

Die Insel der Omegas wird zerstört und zwingt somit die Freunde Piper, Zoe und Cass zur Flucht vor Mord und Totschlag. Irgendwo soll es ein Land geben, in dem niemand drauf achtet, ob sie als Omega gebrandmarkt sind oder nicht. Um dorthin zu kommen, müssen sie aber Cass` Zwillingsbruder Zach überwinden, der über überdurchschnittliche Macht verfügt und sie verfolgt…

Die Autorin Francesca Haig brachte nun mit „Das Feuerzeichen – Rebellion“ den zweiten Teil der Feuerzeichen-Trilogie auf den Markt. Wie auch im ersten Band verfügt die Autorin über die Gabe, mit so manchen Rätseln zu spielen, sodass sie den Leser auf den dritten Band neugierig macht und somit sicher sein kann, ihre bisher begeisterte Leserschaft an dieser Trilogie zu halten.

Positiv zu werten ist auch, dass der Verlag mit diesem zweiten Teil auf so manche Kritik hinsichtlich der gehäuften Rechtschreibfehler im ersten Band einging, und dieser zweite Band nun erheblich besser aufgestellt ist. Wobei ich persönlich noch kein Buch in Händen hielt, das zu 100% fehlerfrei war. Hierzu mein großes Kompliment an die Korrektoren und Lektoren, die sich scheinbar doch Rezensionen und Kritiken zu Herzen nehmen.

Wer erst mit Band 2 in die Trilogie eingestiegen ist, wird sicherlich etwas enttäuscht sein, weil ihm die gesamte Vorgeschichte über die zurückliegende Nuklearkatastrophe und deren Auswirkungen fehlt. Hierzu kann ich nur empfehlen, unbedingt vor Band 2 den ersten Band zu lesen, um die Zusammenhänge zu verstehen.

Die Autorin erzählt aus der Sicht von Cass in der Ich-Form, was sicherlich von manchem Leser als störend empfunden wird, da dadurch Cass in den Mittelpunkt gestellt wird, wo sie schon allein als Zwillingsschwester von Zach steht. Streckenweise empfand ich die Geschichte durch aufgebauschte Kampfszenen sehr langatmig, so dass ich in Versuchung geriet, ganze Passagen zu überblättern. Ebenso stellten sich die Fluchtszenen für mich dar. Daher hatte ich manches Mal das Empfinden, dass das Buch nur aus Kampf und Flucht besteht und dadurch die Protagonisten in den Hintergrund gedrängt werden.

Ich bin auf den dritten Band gespannt, denn ich möchte wissen, ob die Freunde es schaffen, das Land zu finden, in dem sie nicht mehr ausgegrenzt werden.

Das Cover passt perfekt zu dem des ersten Bandes und wird vom Omega-Zeichen dominiert, das in gewisser Weise ja auch in der Handlung im Vordergrund steht.

Ein Roman, der in der Zukunft spielt, den auch ich nicht mehr aus der Hand legen wollte.


Genre: SciFi
Illustrated by Heyne München