Victoria Suffrage legt mit „also nachm Regenbogen um sechs Uhr abends“ eine ungewöhnlich eindringliche und einfühlsame Erzählung über Abschiednehmen, Altwerden, Vergehen und Vergessen vor, die als Kammerspiel beginnt und als Roadmovie endet.
Die Autorin beschreibt die Lebenssituation des 78jährigen dementen Paul, der mit seiner schwerbehinderten Tochter in einer Mietwohnung lebt und dort von einem jungen Altenpfleger betreut wird. Seine zehn Jahre ältere Frau, die er über alles liebte, hatte ihm auf dem Sterbebett versprochen, auf ihn nach dem Regenbogen um sechs Uhr abends zu warten. Er blieb völlig überfordert mit der Tochter zurück.
Die Mitmieter wollen den Alten loswerden, die Behinderte stört durch häufiges Schreien und Klagen ihre Nachtruhe, schon hat die Hausverwaltung die Kündigung ausgesprochen und will die Wohnung räumen lassen.
In dieser Situation muss ihm auch sein einziger Freund, der Altenpfleger Alex, sagen, dass er nur noch wenige Tage zur Verfügung steht. Ein Fiasko scheint unausweichlich, zumal der alte Herr die Wohnung nicht mehr verlassen kann und viel zu kraftlos ist, um sich gegen Unrecht zu wehren.
Die Autorin versteht es, mit wenigen Strichen das Dilemma zu zeichnen, in dem Paul steckt, und sie skizziert damit gleichzeitig eine typische Situation, die immer wieder vorkommt und Nachbarn gegeneinander aufbringt.
Gut entsinne ich mich an ein jüdisches Geschwisterpaar, das vor Jahrzehnten in einer Berliner Altbauwohnung über mir lebte. Den Holocaust hatten sie irgendwie überlebt, aber die Angst und der Argwohn steckte ihnen tief in den Knochen. Als der Bruder dann schwer an Krebs erkrankte und jede Nacht stundenlang schrie, klingelte ich und bot an, einen befreundeten Arzt kommen zu lassen. Doch die Furcht, abgeholt und füsiliert zu werden oder eine Todesspritze zu bekommen, war so enorm, dass mein Vorschlag entsetzt abgelehnt wurde. So schrie die gequälte Kreatur, bis sie eines Nachts erlosch. Die gesamte Hausgemeinschaft atmete auf …
Löst ein Text Nachdenken, Betroffenheit und Erinnerungen aus, dann hat er den Leser erreicht und enorm viel geleistet. Die Erzählung von Victoria Suffrage hat diese Fähigkeit und schafft es bei aller Unausweichlichkeit, die Situation mit intelligentem Humor aufzulösen. Denn während der Leser darauf wartet, ob der verwirrte Paul seine Tochter mit ihrem geliebten Kuschelkissen erstickt, um sie zum Regenbogen zu bringen, öffnet die Autorin ihr Kammerspiel zum Roadmovie.
Altenpfleger Axel, dessen Tage durch aggressiven Krebs ebenfalls gezählt sind, packt seinen Freund in ein Auto und reist mit ihm nach Prag. Dabei treffen sie auf einen sonderbaren Tramper, der Ihre Exkursion mit Schweijkschem Humor bereichert und die Reise zum Ende des Regenbogens erleichtert.
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