Eine Hochzeit, mit der niemand gerechnet hat
Der amerikanische Schriftsteller Castle Freeman schreibt auch in seinem neuesten Roman wieder eine Geschichte, die im ländlichen Neuengland spielt. Und auch eine seiner Figuren taucht hier wieder auf, der County-Sheriff Lucian Wing, über den er sogar eine eigene Trilogie geschrieben hat. Dessen besonnene Art trifft allerdings nicht immer auf verständnisvolle Mitmenschen, man hält ihn in den kleinen Kaff im Bundesstaat Vermont für zu träge, und faul sei er außerdem.
Der dreiteilige Roman mit Prolog und Epilog ist in dreißig Kapitel aufgeteilt und deckt einen Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren ab, beginnend im Jahre 1990. Schon im Epilog wird klar, worum es geht in diesem Roman, um eine Hochzeit nämlich, und zwar um eine ganz besondere, auch das wird deutlich, eine späte und eine mit Hindernissen. Unter dem Titel «Die Zählung des Volkes» wird geschildert, wie Porter Conway, der Erfahrungen als Volkszähler auch schon aus anderen, weit entfernten Bundesstaaten hat, mit seinem alten Pick-up vor dem Sägewerk von Arthur Bennet hält. Ein Mastiff tobt laut bellend in seinem Zwinger herum, aber es dauert eine ganze Weile, bis sich endlich die Haustür öffnet und ein Mädchen heraustritt, etwa vierzehn, fünfzehn Jahre alt, – blond und atemberaubend schön. Lucy Bennets Vater erweist sich als Ekel, er beschimpft Porter unflätig und weigert sich, irgendwelche Fragen zu beantworten. Verpiss dich, du Schnüffler, schnauzt er Porter an und verschwindet wieder in seinem Haus. Auch Lucy, der er beim Wegfahren den Fragebogen zum Ausfüllen herausreicht, knüllt ihn zusammen und wirft ihn wütend in den Pick-up zurück.
Port, wie Porter Conway fast überall genannt wird, ist neu zugezogen. Er ist ein ausgesprochener Eigenbrötler mit einer weltläufigen Vergangenheit, die Ich-Erzählerin Connie, die mit Cliff Copeland verheiratet ist, kann ihn nicht leiden, obwohl ihr Mann mit ihm eng befreundet ist. Sie ist die Halbschwester von Lucy Bennet, die irgendwann bei ihnen einzieht, weil ihr im Hause ihres Vaters Arthur die Verwahrlosung droht. Der wird nämlich altersbedingt zunehmend wunderlicher und ist mit seiner Tochter völlig überfordert. Lucy ist nicht nur so schön, dass die jungen Männer der Ortes nachts wie Kater ums Haus schleichen, sie ist zudem sehr selbstbewusst und hat ihren eigenen Kopf, auch was die Männer angeht. Zehn Jahre später, im zweiten Teil des Romans, steht Port als amtlicher Volkszähler wieder vor der Tür, und wieder vergeblich! Lucy hat zwei längere Affären, zuerst einige Jahre lang mit Dougie, dem als Nerd in der Stadt eine glänzende berufliche Karriere bevorsteht, und anschließend mit Kurt, einem undurchsichtigen Typ, der diverse Vorstrafen hat, nicht arbeitet, oft auf Reisen ist und schlimme Kerle als Freunde hat. Ein absoluter Fehlgriff der selbstbewussten Schönen, das genaue Gegenteil zu dem strebsamen Dougie.
Der Roman wird vom Ehepaar Copeland erzählt, die Beiden wechseln sich als Ich-Erzähler der dreißig Kapitel permanent ab, wodurch das Geschehen aus männlicher wie auch aus weiblicher Sicht geschildert wird. Als wichtigstes narratives Stilmittel erweisen sich die köstlichen Dialoge zwischen den beiden Freunden, bei denen sich Port als unerschöpfliche Quelle von Geschichten aus seinem bewegten Leben erweist, denen der vergleichweise unspektakuläre Cliff nicht entgegen zu setzen hat, er kennt nicht mehr von der Welt als sein ländliches Vermont, das er noch nie verlassen hat. Sie philosophieren auf Teufel komm raus, «Du bist ein richtig guter Küchenpsychologe, was?» sagt Port einmal zu Cliff, und ergänzt: «Du tust immer so, als wärst du ein Hinterwäldler, dabei hast du in Wirklichkeit einen weiten Horizont». Das stilprägende Element dieses äußerst unterhaltsamen Romans ist der lakonische Witz, in dem da erzählt wird. Man kommt aus dem Schmunzeln und Lachen kaum mehr raus beim Lesen. «Eine Hochzeit mit Hindernissen» heißt es auf dem Buchrücken, präziser wäre: «Eine Hochzeit, mit der niemand gerechnet hat», – und genau die sind ja bekanntlich die aufregendsten!
Fazit: lesenswert
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