November 1918 – Eine Deutsche Revolution

Band 1: Bürger und Soldaten

Es sind die ersten Novembertage des Jahres 1918, der Kaiser ist nach Holland geflüchtet, der Krieg für Deutschland verloren. In einem elsässischen Städtchen warten Soldaten und Zivilisten gleichermaßen gebannt auf Neuigkeiten in diesen unruhigen Zeiten der Irrungen und Wirrungen, sie hören die Kunde einer Revolution, ausgehend von Matrosen in Wilhelmshaven und von dort weiter getragen in das ganze deutsche Reich. Wir begleiten – unter anderen – den verwundeten Oberleutnant Becker, einen Gymnasiallehrer auf der Suche nach neuen Werten und dürfen miterleben, wie die tief gespaltene Bevölkerung sich auf die Besetzung durch französische Truppen vorbereitet.

Band 2: Verratenes Volk

Zerrissenheit herrscht auch in der Reichshauptstadt Berlin: Die regierenden Sozialdemokraten Ebert und Scheidemann paktieren im Geheimen mit den alten Mächten, die sich um General Hindenburg scharen; hart bedrängt von den Spartakisten Karl Liebknecht und Kurt Eisner, dem bayerischen Ministerpräsidenten, die nicht bereit sind, ihre Ideale zu verraten und deshalb auf eine echte sozialistische Revolution pochen. Doch wiederum folgen wir ebenso den einfachen Leuten auf ihren verschlungenen Wegen, treffen elegante Kriegsgewinnler und dekadente Schieber, versprengte Deserteure und lustige Witwen. Auch Becker ist wieder in Berlin bei seiner Mutter, wo er sich von den Verletzungen an Körper und Seele erholt. Die politische Krise eskaliert, als am 6. Dezember Gardesoldaten unbewaffnete Spartakus-Demonstranten angreifen und dabei etliche töten.

Band 3: Heimkehr der Fronttruppen

US-Präsident Wilson reist per Schiff nach Europa um seine humanistischen Vorstellungen einer neuen Weltordnung zu präsentieren, aber seine Vision eines gerechten und dauerhaften Friedens und der Aufbau eines Völkerbundes scheitern in der Konferenz von Versailles am Kleingeist und Egoismus der europäischen Staaten. Währenddessen kehren in Deutschland die Soldaten aus dem Krieg heim, ermüdet und desillusioniert zerfällt die einst so gefürchtete Armee. Die Reichsregierung gerät zunehmend zwischen die Fronten der Generale und Spartakisten; der Kleinbürger Ebert verliert dabei immer mehr den Überblick und auch seine letzten Ideale. Becker dagegen findet in der Krankenschwester Hilde eine neue Liebe und kämpft zusammen mit ihr gegen dunkle Dämonen der Depression und Kriegsbilder, die ihn immer wieder quälen. Schließlich gelangt er zum christlichen Glauben, allerdings zu der radikalen Variante des Neuen Testaments; eine Wandlung, die ihn Freunde und Weggefährten kostet.

Band 4: Karl und Rosa

Becker kehrt für kurze Zeit in den Schuldienst zurück, doch er bemerkt schnell, dass das nicht mehr seine Welt ist. Er verliert seine Liebste und wird auf eine harte Probe gestellt: Seine Güte und Menschlichkeit führen ihn in das von Spartakisten besetzte Polizeipräsidium, als es von Regierungstruppen angegriffen wird. Schnell erkennt er, wohin er gehört und kämpft Seite an Seite mit seinen neuen Genossen. Er wird verwundet und festgenommen, lehnt aber eine Begnadigung ab und geht für 3 Jahre ins Gefängnis. Unfähig, sich danach wieder in die ihm fremd gewordene bürgerliche Gesellschaft einzufügen, zieht er als Landstreicher und Rebell durch die Gegend, um schließlich einsam, doch mit geretteter Seele zu sterben.

Rückblende auf die Kriegsjahre: Die revolutionäre Freiheitskämpferin Rosa Luxemburg sitzt in einem Breslauer Kerker und leidet unter der ihr aufgezwungenen Tatenlosigkeit. Endlich ist der Krieg zu Ende und sie – wie auch Karl Liebknecht – wird entlassen. Die beiden gehen nach Berlin, wo sie dringend gebraucht werden, denn Reichskanzler Ebert tut dort alles, um die Revolution zu stoppen. Die Stunde scheint günstig für die Aufständischen, Liebknecht mobilisiert die Massen, doch anstatt gemeinsam dieses Potenzial zu nützen, ergehen sich die übrigen Parteiführer in endlosen Diskussionen und Theoriedebatten; es sind eben sehr deutsche Revolutionäre. Die Regierung wird von derartigen Skrupeln nicht geplagt, Ebert überlässt es seinem Bluthund Noske, die Gegenrevolution zu organisieren und der fackelt nicht lange. Inzwischen in Berlin eingetroffene Offizierstruppen jagen Karl und Rosa, fassen sie schließlich mit Hilfe von Verrätern und erschlagen die beiden auf der Stelle man schreibt den 15. Januar 1919. Die feigen Mörder gehen mit Unterstützung der sozialdemokratischen Regierung straffrei aus, die deutsche Revolution ist zu Ende.

Alfred Döblin ist den meisten Literaturfreunden wohl hauptsächlich durch „Berlin Alexanderplatz“ bekannt, ein Buch, das mich ehrlich gesagt nie sonderlich begeistert hat. In seiner Revolutionstetralogie dagegen zeigt er, dass er sein Handwerk wirklich versteht: Ohne falsches Pathos verknüpft der Autor die historische Entwicklung mit den Geschicken zahlreicher fiktiver Romanfiguren, dabei entsteht ein wunderbar schlüssiges Gesamtbild, ein Sittengemälde dieser spannenden Zeit. Trotz etlicher Nebenhandlungen verzettelt er sich nicht, der Fokus bleibt stets streng erhalten. Die Bücher sind in überschauliche Kapitel gegliedert, die sich in Stil und Inhalt bisweilen erheblich unterscheiden. Mystischen Begegnungen der Protagonisten mit Geistern, Engeln und Dämonen folgen nüchterne Beschreibungen von Truppenverschiebungen, allzu menschliche Liebesaffären werden abgelöst durch tagebuchähnliche Gedanken der Spree in Berlin und wenn es nötig ist, meldet sich der Verfasser auch selbst zu Wort.

„November 1918“ ist weitaus mehr als die Verarbeitung historischer Ereignisse, Döblin erteilt eine Geschichtslektion und bezieht Stellung: Deutlich zutage tritt seine kritische Sympathie für die Revolutionäre des Spartakusbundes (nicht umsonst trägt Band 4 den Titel „Karl und Rosa“), ebenso wie seine Verachtung für die Sozialdemokratie der Genossen Ebert und Noske, die für ihren Verrat am Volk und der Sache mit sorgfältig ausgesuchten Worten voller Zynismus und Sarkasmus bedacht werden. Aber auch die andere Seite bekommt ihr Fett weg; für eine echte Revolution waren sie wohl doch zu deutsch, Respekt vor den Symbolen des Staates, aber auch vor den Theorien ihrer geistigen Lehrer verhinderten die notwendige Spontaneität und Skrupellosigkeit.

Die vier Romane schrieb Döblin in einem Zeitraum von mehr als 15 Jahren auf der Flucht vor den Nazis im Exil. Eine der Hauptfiguren, Studienrat Dr. Friedrich Becker, trägt autobiographische Züge, denn wie der Autor findet er schließlich zum christlichen Glauben in einer radikalen Prägung, die ihm ein Verbleiben in der bürgerlichen Gesellschaft unmöglich macht. Auch Döblin sah sich mit verschiedenen Problemen konfrontiert, als er nach dem zweiten Weltkrieg sein Manuskript anbot; erst in den 70er-Jahren wurde das Werk in kompletter Form veröffentlicht. Nicht nur denen, die sich für diesen Abschnitt deutscher Geschichte interessieren, sondern auch allen anderen, die einfach Freude an gepflegter Literatur empfinden lege ich es wärmstens ans Herz.

Diskussion dieser Rezension im Blog der Literaturzeitschrift


Genre: Politik und Gesellschaft
Illustrated by dtv München

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