Er hat weltweit Millionen begeisterte Leserinnen und Leser. Seine Romanfigur, der sowohl kriminalistisch wie kulinarisch begabte Kommissar Salvo Montalbano, ist mittlerweile fast Kult. Dass sein Schöpfer diesem sizilianischen Quadratschädel zugleich einiges an Spitzbübigkeit mitgab, hat vielleicht zu dem in der Welt der Literatur einmaligen Ereignis geführt, dass eine Romanfigur seinen Schöpfer anruft, um ihm die Kündigung anzudrohen. Wir sprechen natürlich von Andrea Camilleri. Als dieser an eine Erzählung arbeitete, die »ein bisschen à la Hannibal Lector« sein sollte, verhält sich Montalbano, »der in dieser Geschichte ermittelt, an einem bestimmten Punkt wie folgt: Anstatt pflichtgemäß die Pistole zu zücken, macht er kehrt, fährt zu einer Telefonzelle und ruft einen alten Herrn in Rom an, der zu nächtlicher Stunde Geschichten schreibt: `Hör zu Camilleri, wenn du weiterhin ein solches Zeug schreiben willst, dann mach es, aber ich will damit nichts zu tun haben.´ Und Montalbano weigert sich, die Ermittlungen fortzusetzen.«
Camilleri erzählt diese Episode dem Journalisten Saverio Lodato, der aus einer Reihe langer und intensiver Gespräche mit dem sizilianischen Autor dessen Leben mehr dokumentiert, als dass er es schildert. Lodato hatte 2001 den Auftrag für die kommunistische Tageszeitung »L´Unita« ein Interview mit Camilleri über dessen Auffassungen zur sizilianischen Mafia zu führen. Nach dem Interview entwickelte sich ein umfangreicher Dialog zwischen den beiden. In mehreren Gesprächen erzählte der zur Zeit wohl erfolgreichste und bekannteste italienische Autor Lodato Episoden aus seinem Leben. Und glücklicherweise erkennt Lodato die besondere Qualität des Erzählens. Er beschließt, aus diesem Material keinen eigenen Text zu erstellen, sondern diese Gespräche zu dokumentieren. »(…) Camilleris ungetrübten Erzählduktus zu bewahren, und (habe) mich darauf beschränkt, ein sehr weit reichendes Themenmaterial auf einige simple Leitfäden für die Marschrichtung einzustellen. Ich wollte, daß der Leser auf gewisse Weise die `Stimme´ Andrea Camilleris genauso hört, wie ich sie vernommen habe«, schreibt er in seinem Vorwort. Ein größeres Geschenk hätte er seinen Lesern nicht machen können. Camilleri ist — seine Fans wissen es — ein ausgezeichneter Erzähler. Beim Lesen dieses Buches schleicht sich Neid ein. Gerne würde man ihn nicht nur lesen, sondern ihm auch zuhören dürfen.
»Andrea Camilleri, Mein Leben« ist eine Sammlung von Geschichten, die vom Beginn des Faschismus in Italien bis zur Hybris der Berlusconi-Jahre reichen. Es ist kein im eigentlichen Sinne politisches Buch. Die erste Hälfte handelt vor allem von Camilleris Kindheit und Jugendzeit. Hier schildert er aus dem Leben seines Vaters, er berichtet von der Faszination des Meeres. Beides entfaltet bis heute eine große Wirkung auf Camilleri. Geruch und Geschmack der Kindheit werden lesend lebendig und machen nicht nur im übertragenen Sinne Appetit auf die folgenden Kapitel seines Lebens.
Camilleri erzählt natürlich auch von seiner Arbeit. Wir erfahren, dass die Piazza von Porto Empedocle, seinem Heimatort, die Geburtsstadt der fiktiven Romanstadt Vigata ist. Wir hören tatsächlich, lesend, vielen Geschichten zu. Keine ist zu klein, um sie auszulassen, nicht eine ist unwichtig im Zusammenhang des langen Lebens, das Camilleri schon hat leben dürfen. Andrea Camilleri wurde 1925 geboren. Mehr als sein halbes Leben lang hat er in der italienischen Filmindustrie gearbeitet, war Regisseur, Drehbuchautor. Schriftsteller ist er erst im Herbst seines Lebens geworden. Die Gespräche in Lodatos Buch zeigen, wie gut die Reife des Lebens seiner Literatur getan hat.