Danebengelungen
Der italienische Schriftsteller, Holzbildhauer und Alpinist Mauro Corona aus der Gemeinde Erto in den Friauler Dolomiten hat mit seinem Roman «Im Tal des Vajont» seiner Heimat ein bemerkenswertes Denkmal gesetzt. Sein 2013 auch auf Deutsch erschienener Roman findet in seiner archaischen, düsteren Thematik eine Entsprechung allenfalls achtzig Jahre vorher, in John Knittels «Via Mala», dem berühmten, inzwischen mehrfach verfilmtem Roman. Durch die Katastrophe von Vajont erlangte das Tal 1963 traurige Berühmtheit, als durch einen gewaltigen Erdrutsch in den Stausee hinein eine Flutwelle das ganze Tal überschwemmte, mehr als zweitausend Opfer waren zu beklagen. Der vorliegende Roman hingegen hat seinen zeitlichen Hintergrund lange davor.
Zwischen Prolog und Epilog verpackt liefert uns der Autor die fiktive Geschichte eines jüngst erst aufgefundenen dicken Heftes, eine mit Bleistift geschriebene Lebensbeichte, die wie folgt beginnt: «Ich heiße Severino Corona, genannt Zino. Ich wurde am 13. September 1879 in Erto geboren und habe immer auf diesem wilden und bergigen Flecken Erde gewohnt, wo es außer Arbeit nichts Gutes gibt, aber trotzdem lebe ich sehr gern hier.» Er habe, erklärt der Autor, diesen Text, der den eigentlichen Roman ausmacht, nur unwesentlich verändert. Zino, früh verwaist, fristet ein karges Leben als Ziegenhirte und Holzfäller, bis er im Alter von siebzehn Jahren seine Initiation erlebt, verführt von einer doppelt so alten Frau. Durch den gesamten Roman hindurch sind es immer wieder die Frauen, von denen die Initiative ausgeht, die ihn zu ihrem Liebhaber machen, der biblischen Eva gleich, die Adam zur Sünde verführt, eine fragwürdig einseitige, machohafte Perspektive des Autors. Natürlich bleiben diese zumeist rein sexuellen Beziehungen nicht ohne Folgen, sie lösen Abtreibungen, Eifersuchtsdramen, Morde und Selbstmorde aus, die uns heutige Leser in ihrer elementaren Brutalität schockieren. Die Wirkung der furchtbaren Taten wird noch verstärkt durch die naiv direkte, nichts beschönigende, geradezu barbarisch deutliche Erzählweise, die sprachlich die raue Gebirgswelt abzubilden scheint, in der all dies geschieht.
Glücksmomente, die geeignet wären, dieser Geschichte etwas von ihrer bedrückenden Härte zu nehmen, gibt es kaum welche. Stattdessen nimmt der Tod eine dominante Stellung ein, er ist häufiger Gast im Tal des Vajont. Die Romanfiguren werden als ernste, schicksalsergebene Gebirgler beschrieben, die weitgehend humorfrei, aber auch kaum durch moralische Skrupel oder gar den Pfarrer gebremst, ihr freudlos karges Leben fristen. Insoweit war für mich die Lektüre ebenfalls freudlos. Sie vermag nämlich auch nicht zu punkten durch sprachliches Können, denn der Autor, selbst ja Holzbildhauer, schreibt einen holzschnittartigen Stil, unbeholfen wirkend ohne jedes literarische Raffinement, an Schulaufsätze erinnernd, deren Verfasser ausschließlich bemüht sind, ihren Stoff vollständig abzuhandeln.
Paradox erscheint mir, dass hier emotionslos trocken eine Geschichte erzählt wird, die gleichwohl etliche märchenhafte Elemente enthält. Bei aller Magie aber dominiert das herb Elementare, die Schicksalsergebenheit der Protagonisten manifestiert sich in einer latent vorhandenen Todessehnsucht, die das Sterben als Befreiung von der Härte des Lebens ansieht. Die heile Bergwelt, die als Heimat auf Zino eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausübt, erweist sich in diesem Roman als Illusion, seine schicksalhafte Getriebenheit, sein naiver Aberglaube und drastische Erotik bestimmen das Geschehen. Wer es deftig mag, kommt voll auf seine Kosten, inwieweit die zuweilen willkürlich aneinander gereiht erscheinenden Episoden über das karge Alltagsleben allerdings authentisch sind, vermag ich nicht zu beurteilen. Vieles wirkt allzu deutlich konstruiert, der Plot ist überladen mit häufigen Wiederholungen. Vor allem aber ist der Impetus des Autors an der unzulänglichen sprachlichen Umsetzung gescheitert.
Fazit: miserabel
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