Wer den ersten Band der Reihe um mutige Frauen aus dem Widerstand des Adels gegen die Nazidiktatur, »Honigland«, noch nicht gelesen hat, könnte sich zunächst von der Fülle der Charaktere und der komplexen Familiengeschichte derer von Tessendorf erschlagen fühlen. Doch bereits im zweiten Drittel des Romans gewinnt die Handlung an Fahrt und entfaltet sich zu einer spannenden Geschichte voller Intrigen und Verwirrungen, die in einem Palast voller Intrigen und Verwirrungen rund um den »Führer« spielen. Im Kern geht es um den Versuch, eine Neubesetzung an der Spitze der Wehrmacht herbeizuführen, vor dem Hintergrund eines drohenden globalen Konflikts.
Die zentrale Figur des Romans ist die bereits aus dem ersten Band bekannte Daisy von Tessendorf, eine attraktive junge Frau aus einer Familie, die eine Werft und einen Rüstungsbetrieb besitzt. Diese wirtschaftliche Machtposition weckt zahlreiche Begehrlichkeiten sowohl innerhalb als auch außerhalb der Familien-Dynastie. Daisy kämpft zunächst um die Freiheit ihres Bruders Louis, der einen Menschen getötet haben soll. Dabei lässt sie sich auf einen Kriminalbeamten ein, der sie als seine zukünftige Ehefrau sieht.
Was folgt, ist eine verschlungene Intrige zwischen den wohlhabenden Tessendorfs, Daisys Freund Oskar, dem Sohn des Reichspräsidenten Hindenburg, und den Nazis, die kurz vor der Machtergreifung stehen. Durch ihre gesellschaftliche Stellung hat Daisy direkten Zugang zu Hitler, den sie bald als Reichskanzler erlebt. Sie nutzt diesen Kontakt, um eine »Person aus dem Tiefparterre«, wie ihre Großmutter es nennt, aus den Kerkern der politischen Polizei zu befreien.
Währenddessen versucht Daisys Halbbruder Hagen mit Unterstützung der Nazis, die inzwischen den Reichstag angezündet und die Verfolgung Andersdenkender intensiviert haben, an die Kontrolle über das Familienunternehmen zu gelangen, das von ihrer resoluten Großmutter geführt wird. Über ihren leiblichen Bruder, der eine heimliche Beziehung zu einem jüdischen Liebhaber hat, wird Daisy zur Assistentin und Vertrauten von Albert Speer, dem Architekten des Führers. So wird sie bald zu einer regelmäßigen Besucherin im innersten Zirkel Hitlers.
Mit dem Tod Hindenburgs fallen alle Masken, und die hässliche Fratze der Diktatur wird sichtbar. Kompetenz wird durch Inkompetenz ersetzt, Intelligenz durch Ideologie, und Recht durch Willkür. Louis nimmt sich das Leben, als sein Liebhaber in die Hände der Nazis fällt. Die Geschichte führt weiter bis zum Krieg und schließlich zum Zusammenbruch des »Tausendjährigen Reiches« und seiner Paladine.
Die tollkühn konstruierte Geschichte mag in mancher Hinsicht unglaublich erscheinen, könnte aber durchaus im »Honigstaat«, der um die »Bienenkönigin« Hitler entsteht, stattgefunden haben, denn es gab bekanntlich Widerstand aus der Adelskaste. Sie erinnert in der Darstellung der aristokratischen Lebenswelt gelegentlich an „Downton Abbey“ und ist dennoch äußerst kenntnisreich in den Kontext der neueren deutschen Geschichte eingebettet, den Hanni Münzer mit großer Leidenschaft und Sachverstand entfaltet.
Gleichzeitig ist es auch ein klassischer Liebesroman. Es geht um Verführung, Gewalt, Leidenschaft und die große Liebe, die Daisy schließlich sogar zur Spionin für England werden lässt.
»Honigstaat« ist eine packende Romanerzählung vor dem Hintergrund eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte, die eine wichtige moralische Lehre vermittelt: Wer sich mit Schweinen einlässt, wird schmutzig dabei – und das Schwein hat sogar Spaß daran.
Ein echter Pageturner à la Hanni Münzer!
Prädikat: Unbedingt lesenswert