Hamburger Berg Nr. 2. Goldener Handschuh. Eine Kneipe der untersten Art. In der schrundigen Spelunke trifft sich der Bodensatz des Abschaums. Ex-Knackis, Obdachlose, Spritter geben sich ein Stelldichein in dem Laden nahe der Reeperbahn. Rund um die Uhr ist geöffnet. Die Stammgäste tragen Namen wie Soldaten-Norbert, Fanta-Rolf und Samba-Eddy. Sie trinken nicht, sie saufen sich vom Delirium ins Tremens.
Einer der aktivsten Zecher ist Fritz »Fiete« Honka. Der kleine Nachtwächter mit großer Libido hat ständig Durst. Wird der Druck in seinem Untergeschoß zu groß, quatscht er eine der Säberalmas an. So heißen die völlig heruntergekommenen älteren Frauen, die um Verblendschnaps betteln und sich für ein Dach über dem Kopf abschleppen lassen. Er nimmt sie mit in seine Wohnung in der Zeißstraße 74 und befriedigt sich an ihren zerschundenen Körpern. Werden sie ihm nach einigen Tagen lästig, erwürgt er sie und zerlegt ihre Leiche. Den Verwesungsgeruch erklärt er mit den Kochgewohnheiten seiner griechischen Nachbarn. Erst bei einem Wohnungsbrand am 17.07.1975 stößt die Feuerwehr auf Leichenteile und macht damit dem Grauen ein Ende. »Honka, der Henker von Hamburg« schlagzeilt der Boulevard.
Autor Heinz Strunk ist tief in die Akten eingestiegen, um den Fall Honka zu schildern. Er wurde darüber hinaus selbst Stammgast im »Handschuh« und beschreibt anschaulich, was sich dort zwischen Pissepfützen und Blutlachen abspielt. Strunk offenbart einen Blick in das Leben von Menschen, die im Schmiersuff verschimmeln und sich selbst dabei noch untereinander erniedrigen. Dabei schildert er Honka als schwer alkoholkrankes Bürschlein, das auch noch das Pech hatte, zum Mörder zu werden.
Dagegen montiert der Autor die Geschichte der fiktiven Reederfamilie von Dohren. Diese Leute haben sich zur Nazizeit so exzessiv an jüdischem Eigentum vergangen, dass sie vom feinen Rest der Hanseaten geschnitten werden. Lange wartet der Leser darauf, wie die beiden Erzählstränge zusammenlaufen. Indes ist der gemeinsame Nenner der »Handschuh«, dort finden sich beide Gestalten im Mahlstrom des Alkoholismus wieder. Verkommenheit ist damit keine Frage der sozialen Herkunft, sondern Verfallserscheinung der jeweiligen Figur.
Strunks Buch ist viel mehr als die Geschichte eines Mörders. »Der goldene Handschuh« ist ein unglaublich dichtes und atemberaubend geschriebenes Sittengemälde. Stilistisch steht es in der Tradition des in Deutschland kaum gepflegten »New Journalism«. Dabei gelingt es dem Autor, bei aller unter die Haut gehenden Schilderung menschlichen Not und Leids auch noch eine Ebene des Humors einzubauen, die das Ganze erträglich macht.
Zum Thema: Neue Art des journalistischen Schreibens
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